Jesuslatschen - Größe 42
Also
kann das Fenster geschlossen bleiben und ich verlasse die Herberge durch die
Tür. Eine unbekannte Kraft treibt mich an, weiterzuziehen.
Unweit von La Isla entfernt, gelange ich auf einem überwucherten Waldpfad zu einer fast zugewachsenen Pilgerbrücke. Genau diese Brücke ist im
Pilgerführer abgebildet. Nun stehe ich hier vor der kleinen Steinbrücke. Die
Idylle reicht noch weit über den erdachten Bildrand hinaus. Hier lebt alles. In
mir werden Bilder lebendig, auf welchen Pilger im Mittelalter über diesen Steg
ihren Weg nach Santiago fanden. Dieser Jahrhunderte andauernde Menschenstrom
wird mir in dem Moment bewusst. Mitten auf der Brücke stehe ich mit
geschlossenen Augen und höre einfach in die Natur hinein. Allmählich
konzentriere ich mich nur noch auf den Bach unter mir. Es entsteht ein Strom,
ein Kreislauf und ich bin nur ein Teil davon. Phantastisch loszulassen, um
einfach diesen Kreislauf zu spüren, dem man sowieso angehört.
Weiter dem zugewachsenen Pfad folgend, gelange
ich auf eine lang gestreckte Asphaltstraße. Diese führt in den Ort Colunga . Im dortigen Hotel bestelle ich noch einmal
Frühstück, da heute Sonntag ist. Beim Kaffeetrinken fällt mir dieser sinnlose
Satz ein: „Ina Colunga haba icha imma Cafa cona Leca getrunga .“ So ungefähr würde es sicher klingen, wenn
ich als Spanier in Merseburg einen Kaffee bestellen würde. Langsam aber sicher
füllt sich der Gastraum. Eine Gruppe von fünfzehn Radsportlern trifft sich zum
Frühstück. Es entsteht ein ganz eigenes Leben und Hantieren, wenn sich
ehrgeizige Sportfreunde morgens auf den Weg machen. Von einem Radler erfahre
ich, dass wir das gleiche Ziel haben. Die Gruppe ist auf den Weg nach Santiago.
Ich wünsche allen einen „Buen Camino“ und sehe in freudige Gesichter.
An der großen Kirche von Colunga spricht mich zweimal eine ältere Frau an und zeigt auf eine kleine Folientüte,
ich will „nix kaufen“ und finde es irgendwie lästig.
Als ich aus der Kirche herauskomme, stehen die
Radsportler im Vorraum der Kirche rings um einen kleinen Tisch. Hinter dem
Tisch sitzt die Frau und holt aus dem kleinen Folientütchen ein Stempelkissen
und den Stempel heraus. Sogleich beginnt sie munter die „ Credencial de Peregrino “ abzustempeln, auch meinen. So ist das,
wenn man „nix verstehen“. Eine abschüssige glatte Asphaltstraße führte aus dem
Ort hinaus. Nach einer Weile sausen die bunten Trikots an mir vorbei, ein paar
Hände zum Gruß, ein paar „Adiós“ und „Buen Camino“. Sie werden sicher ungleich
schneller in Santiago sein.
Das Wetter an diesem Sonntagmorgen ist kaum
noch zu toppen. Eine vor mir liegende Ebene trennt die Berge vom Meer. Rechts
und links der Straße blühen alte Obstbäume. Die Plantagen sind meist von ebenso
alten Mauern umgeben. Hier sieht alles noch so ursprünglich aus. Einen
besonders klaren Blick in eine vergangene Zeit gewährt mir ein schmiedeeisernes
Tor. Es wird begrenzt von einer alten, mit Moos bewachsenen, Mauer aus
Steinquadern. Auf den beiden Pfeilern stehen urnenähnliche Schalen. Im Tor sind
kunstvoll die Initialen des Erbauers eingearbeitet. Als oberer Abschluss thront
ein Kreuz über allem. Das klingt etwas überzuckert, aber ich sehe genau die
Zeit, in welcher der Besitzer das erste Mal durch dieses Tor schreitet. Mit
Stolz und Würde.
Durch dieses Tor sieht man eine saftig grüne
Wiese, auf der verteilt alte Apfelbäume wachsen. Die Bäume stehen in voller
Blüte. Den Hintergrund hierzu bilden eine Bergkette und strahlend blauer
Himmel.
Apfeltraum,
(Cäsar
†)
In praller Sonne gehend, komme ich zu einer,
„Abrahams Stall“ verdächtig ähnelnden Hütte. So wie sie hier steht, könnte sie
auch als Krippe dienen. Diese hier soll den Pilgern Schutz und Unterkunft bieten.
Das tief heruntergezogene Schleppdach wird von zwei mächtigen Astgabeln
gestützt. Ähnlich den Krücken auf Salvador Dalís Bildern, nur wesentlich
robuster.
Im kühlen Schatten des Daches wird es Zeit für
eine Zwischenmahlzeit.
Von weitem sind typische Autobahngeräusche zu
hören. Ein paar Gehminuten später, ragen vor mir etwa dreißig Meter hohe
Brückenpfeiler aus dem Grün. Eine lange, betongraue Brücke überspannt das
märchenhafte Tal, welches ich gerade durchstreife. Mit hoher Geschwindigkeit
rasen auf vier Spuren Autos über das Tal hinweg. Hier im Grund des Tales, hat
die Natur ihre Ruhe gefunden. Die Ursache für dieses monströse Bauwerk liegt
direkt vor mir. Im Tal,
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