Jesuslatschen - Größe 42
steiler Pfad vor mir, welcher immer weiter hinauf und direkt in das nächste
Dorf führt. Trotz der professionellen Wegbeschreibung stelle ich fest, dass ich
mich verlaufen habe. Kein gelber Pfeil, kein Wegweiser, nichts. Nach Gutdünken
durchmesse ich mit schwerem Schritt verschiedene kleine Dörfer. Im Wandergepäck
befindet sich zwar ein bislang unbenutzter russischer Kompass, jedoch fehlt
dazu das entsprechende Kartenmaterial. Eine mit Kopfstein gepflasterte
Landstraße führt allmählich wieder bergab, entlang an sicherlich mühsam mit
Natursteinen aufgeschichteten Mauern. Das Umfeld lebt und grünt, aber es ist
nun mal nicht der richtige Weg. Auf dem Sandsteinsockel einer kleinen Brücke
möchte ich rasten und noch einmal die Karte befragen.
Als
ich aufblicke, sehe ich vor mir eine Kirchenruine. Die Kirche hat kein Dach und
ist förmlich von Sträuchern eingewachsen. Das einzig neue ist die eiserne Tür
mit zwei Herzen als Mittelpunkt und ein einfaches Kreuz, welches sich über den
Mauerresten erhebt. Neugierig geworden, stelle ich den Rucksack an die
Brückenmauer und laufe in Richtung Kirche. Der kurze Weg von der Brücke bis zur
Pforte ist total mit hohen Brennnesseln und Kräutern zugewuchert .
Ein sehr geheimnisvolles Bild. Um in das Innere der Ruine zu gelangen, muss ich
schon den Wildwuchs niedertrampeln. So erreiche ich durch die leicht geöffnete
Gitterpforte den eigentlichen Kirchenraum.
Dieser
entspricht in seinem jetzigen Zustand genau dem was er eigentlich soll, als
Mittler dienen. Mittler zwischen Himmel und Erde. Da die Dimension Höhe, Dank
des fehlenden Daches gesprengt ist, hat der Raum nun eine unendliche Weite.
Ganz unbewusst stellt sich bei mir spontan ein feierliches Gefühl ein. Ich
beginne etwas zu suchen. Das hohe Gras im Kircheninneren passt nicht zu den
verbliebenen Mauern, hier hätte der Sensenmann wirklich mal einen ganzen Tag
lang zu tun. In der Mitte des nach oben offenen Kirchenschiffes bleibe ich
unvermittelt stehen, vor mir liegt im Gras eine rote Grabkerze. Ich bedauere,
kein Feuer dabei zu haben und stelle sie in eine Mauernische.
Am
Fundort des Lichts knie ich mich ins Gras, schließe die Augen und erlebe das
Exerzitium der Stille. Geräusche aus allen Richtungen, Traktoren, ein Auto, der
Bach, Krähen, Stare , eine Lerche, von weitem ein
Tier, das wie eine Posaune klingt, Grillen, Bienen, Fliegen, der Wind. Je
länger ich in den Raum höre, desto intensiver werden die Wahrnehmungen. Keine
Luftschwingung erreicht mich wirklich, sie bedeuten mir einfach nur, dass ich
bin. Ruhig und suchend gehe ich weiter um irgendeinen wirklichen Hinweis zu
finden, es bleibt still. Die Mauern der Kirche taste ich mit meinen Blicken ab,
auf der Suche nach einem Zeichen. An dieser Stelle erwarte ich etwas und kann
nicht beschreiben was es ist. Vielleicht ist es durch einen Blick schon in mein
Unterbewusstsein gelangt. Wer weiß? Keine Nische lasse ich aus, gehe selbst das
Gelände rings um die Kirche ab. Nichts, außer Sandsteine, Sträucher und
mannshohen Brennnesseln. Wieder an der kleinen Brücke angelangt, hole ich die
Kamera aus dem Rucksack, um diesen, für mich mystischen, Ort zu fotografieren.
Als ich die Pforte mit dem Zoom ins Visier nehme, traue ich meinen Augen kaum.
Warum habe ich das nicht gleich gesehen? Vorhin sah ich nur die zwei Herzen im
eisernen Türgitter als Symbol der Liebe.
Über
dem Eingang sehe ich direkt vor mir in den Sandstein gehauen.
„DAS SCHWERT“
„HEUREKA“
(altgriechisch: Ich habs gefunden)
Über
der schmiedeeisernen Kirchentür ist ein rechteckiger Sandsteinblock als
Türsturz eingefügt. Die rechte Hälfte füllt ein in Stein gehauenes Wappen.
Hierauf sind fünf Jakobsmuscheln in einer Art Schutzschild angeordnet. Das
Schild hat die Form einer Kartusche, wie man sie von der ägyptischen Mythologie
her kennt. Darunter sieht man auf die ganze Länge der Kartusche, das Schwert.
Die linke Hälfte des Blockes füllt ein teilweise schon verwittertes
Templerkreuz. Insgesamt ist der Stein von einer gelbgrünen Naturpatina
überzogen. Daher ist er sicher in all dem Grün ringsum auch so schwer
auszumachen.
Dieses
unerwartete Kunstwerk alter Steinmetz-Schule ist ohne Zweifel ein
Templersymbol, und für mich ein weiterer Beweis das selbst dieser Umweg
Geschichte birgt.
Es
gibt es also doch, hier in dieser abgelegenen Gegend. Es trifft mich einfach so
am Wegesrand. Mit unsäglicher Freude erfüllt, gehe ich zum Portal, so als ob
mir
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