Jesuslatschen - Größe 42
Andachtsraum. Platz ist
genug, die Reihen sind mäßig besetzt. Es herrscht absolute Stille in diesem
Raum. Die Mönche betreten in ihren weißen Kutten lautlos den Raum und stellen
sich im Kreis auf. Wieder herrscht absolute Stille. Nachdem eine, laut Klaus,
etwas verstimmte Orgel leise einsetzt, begibt sich ein älterer Mönch an das
Pult, welches in 12:00 Uhr Position des Kreises angeordnet ist. Er beginnt, in
Latein singend, ein Gebet anzustimmen. Abwechselnd stimmen die anderen Brüder
ein. In dieser Form wechseln stets Gebete und liturgische Gesänge einander ab.
Die
vorgetragenen Chorgesänge gehen tief, denn die Atmosphäre gibt Gefühl frei.
Zwischen den einzelnen Abschnitten dieser Messe lassen die Klosterbrüder Pausen
von ein bis fünf Minuten in absoluter Stille und Einkehr. In diesen Momenten
hörte man die geringste Schwingung im Raum. Sei es das Rascheln der Gewänder
oder der Atem eines Anwesenden. Jedes zusätzliche Geräusch kann die Atmosphäre
hier zerstören.
Eigens
für die Predigt wird das Pult vom Herrn abgewandt, der Prediger steht nun mit
seinem weißen Gewand im grellweißen Halogenlicht und richtet eine
emotionsgeladene Predigt an die Welt. Ich vernehme die Worte „Apokalypse“ und
„Hure Babylon“. Mag sein, dass er seine Worte auf das jetzige Europa bezogen
hat.
In
verschiedenen Phasen dieser Messe hört man ganz leise Geräusche, hervorgerufen
von Klaus seinem Aufnahmegerät. Dieses ist ja schon in Aviles beim „ Asturischen Sonderkonzert“ zum Einsatz
gekommen. Er möchte viele seiner akustischen Eindrücke dieser Pilgerreise
zusammenschneiden und zu einem Ganzen verbinden. Ich habe so meine Probleme mit
dieser Art absoluter Stille, für mich alleine kann ich das förmlich genießen,
aber im Raum mit anderen übt das still sein müssen auf mich einen Zwang aus,
dem ich mich schwer entziehen kann. Die sechzehn Mönche da vorn üben eiserne
Disziplin, sie sind beseelt von dem Glauben, der ihr Leben erfüllt. Sie öffnen
mir einen kleinen Spalt die Tür zu ihrem Leben in dieser Welt. Und genau so nehme ich das Ganze hier wahr, neugierig und
herzlich. Anders geht es nicht, wie soll ich diese Zeremonien sonst verstehen
können?
Nach
ca. dreißig Minuten läuten erneut die Glocken und wir verlassen den
Andachtsraum. Meine vier Mitpilger haben sicher eine andere Sicht auf diese
Messe und gehen anders damit um. Ich selbst komme an einen Punkt, in dem ich
mich selber ertappe, nicht dazuzugehören. Ein Gefühl, Jean Paul Sartre nennt es
in seinem Roman „Zeit der Reife“, hinter Glas.
Jean Paul, Paul steht hinter
seiner eigenen Glasscheibe
Von
einem Mönch lassen wir uns ein Lokal empfehlen, es ist erste Wahl in diesem kleinen
Ort. Wir sind erst mal die einzigen Gäste im Hause. Für spanische Verhältnisse
ist es noch zu früh zum Essen. Der Hausherr begrüßt uns fünf herzlich und
bewirtet uns köstlich. Als es so richtig gemütlich wird, ist es Dank unserer terminlichen Abstimmung schon wieder Zeit zum
Gehen. Denn die Klosterpforten werden 22:00 Uhr geschlossen. Da wir heute Gäste
dieses Hauses sind, sollten wir uns schon an die hiesigen Gepflogenheiten
halten. Drei Minuten vor Toresschluss empfängt unsere lustige Pilgerschar schon
ein Mönch am großen Portal des Klosters. Mir war es wieder einmal peinlich, die
Zeit bis aufs Letzte ausgereizt zu haben. Als ich mich so seitlich an ihm
vorbeimogeln möchte, sagt er in akzentfreiem Deutsch zu mir: „Gute Nacht.“ Das
hätte ich nicht erwartet. Irgendwie hat der Kollege mich getroffen.
Das
mit der guten Nacht sollte noch eine Weile dauern. Denn in der Küche unserer
Unterkunft sitzt, ganz entspannt, Thomas, ein Engländer. Den Insulaner müssen
Klaus und Patricia schon von unterwegs kennen. Und gleich sitzt in der alten
Küche eine noch muntere Runde zusammen am Tisch. Es fließt Wein in Minigläser
und Leute aus drei Nationen sind zusammen, als ob nichts dazwischen liegt.
Jeder trägt hier die Last seiner Pilgertour mit sich, sobald man aber mit
anderen zusammensitzt, fällt das alles ab und verwandelt sich kurzerhand in
Gleich- und Frohsinn. So auch an diesem Abend.
Einmal
werden wir noch von einem Klosterbruder gemahnt, dann sucht sich jeder sein
Lager um die „Gute Nacht“ einzulösen.
Gute
Nacht, weißer Mönch.
Samstag, 13.05.2006
Sobrado dos Monxes - Arzúa
Mit
dem anbrechenden Morgen verlasse ich als Erster die Klostermauern. Obwohl wir
gestern lange zusammen gesessen haben. Das Gehen
Weitere Kostenlose Bücher