Jesuslatschen - Größe 42
Claudio, noch seine Frisur in
Form. Dieser Anblick hinterlässt bei mir einen original englischen Eindruck.
Zur
Sprache kommt auch die Herberge in Ribadeo . Da ich
nur Gutes über die Lage und den Zustand der Herberge zu berichten weiß,
bekommen meine vier Wegbegleiter den Mund kaum zu. Ich erfahre, dass diese
Herberge in einem total dreckig-klebrigen Zustand war. Und dass die vier ihren
Pilgerabend genutzt haben, um diesen Ort von Grund auf zu entkeimen. So war ich
dort wohl der erste Nutznießer im neuen Heim.
Die
Herausforderungen, welche der Weg an uns bislang gestellt hat, sind das Thema
No. 1. Bei allen haben sich mittlerweile Schmerzen und Erschöpfung eingestellt.
Man kann diese Strapazen nicht mit Sport vergleichen. Sicher hat sich jeder von
uns auf seine Weise vorbereitet. Aber es ist niemand sportlich durchtrainiert.
Und somit baut der Körper einfach ab, er lässt dich gehen und nimmt sich
einfach. Dennoch ist es ein Phänomen, welche Geister so ein Wiedersehen
hervorzaubert. Die Müdigkeit verschwindet aus dem Sinn und pure Freude hält
Einzug in die Gesten und Worte. Es muss sich niemand anstrengen, die Gespräche
sind ehrlich und berühren den Kern. Fernab der Welt, in welcher jeder von uns
vor drei Wochen noch seinen Verrichtungen nachgegangen ist. So auch ich, in
meiner Heimatstadt Merseburg. Die Domstadt beherbergt im Archiv des
Kapitelhauses die „Merseburger Zaubersprüche“. Das sind die einzigen
heidnischen Schriften aus dem 9./10. Jahrhundert in mittelhochdeutscher
Sprache. Daher müsste ich es eigentlich wissen, wo solch ein Zauber entsteht.
Ein
Auszug aus den Merseburger Zaubersprüchen:
„ sose benrenki , sose bluotrenki ,
sose lidirenki :
ben zi bena , bluot zi bluoda ,
glid zi geliden, sose gelimida sin!“
Hier eine Übersetzung:
„Knochenrenke wie Blutrenke
wie Gliedrenke:
Bein zu Bein, Blut zu Blut,
Glied zu Gliedern, als ob sie
geleimt sind!“
Das
ist heute so ein Tag, an welchen man meint, Geburtstag zu haben oder an
Weihnachten denkt. Man steht ganz normal auf, geht seinen Weg und wird erst
unmerklich, später aber bewusst wahrnehmend, beschenkt. Beschenkt mit
Eindrücken und positiven Energien. So laden sich die verbrauchten Akkus ganz
allmählich wieder auf. Die Gleichartigkeit der Energien, welche zwischen den
jeweiligen Menschen unterwegs ist, hat daran meiner Meinung nach einen nicht
geringen Anteil. Man schwingt einfach im gleichen Energieniveau. Oftmals ist es
doch so, dass mir Energie entzogen wird, etwa durch Situationen, welche durch
Unausgeglichenheit bestimmt sind. Das kann auf der Arbeit, im Bekanntenkreis
oder unterwegs jederzeit auftreten. Durch den Missmut anderer wird man manchmal
regelrecht angezapft. Hat man genug positive Energie abzugeben, kann man unter
Umständen helfen. Dient dieses Anzapfen aber nur dazu, Unmut zu verbreiten,
erzeugt man selbst negative Ströme, sobald man sich darauf einlässt. Das beste
Mittel derartigen Blutsaugern zu entkommen ist, bei Erkennen solcher Momente
schon im Ansatz abzublenden.
In
dieser Runde fühle ich mich sehr wohl, es hat sich ein Geben und Nehmen
entwickelt. Klaus und Patricia sind verwundert über viele der kleinen
Erlebnisse, welche mir ganz am Rande des Weges begegnen. Obwohl sie doch im
zeitlichen Abstand in etwa den gleichen Weg gegangen sind, war das Erleben für
sie einfach anders. Ich versuche es so zu begründen, dass ein Mensch, welcher
in einen Brunnen springt, das Glück haben kann, dort unten einen Apfelbaum zu
finden, welcher reife Äpfel trägt. Der Sprung allein aber genügt nicht. Selbst
habe ich auch nicht haargenau das vorgefunden, was im Pilgerführer beschrieben
wird und was andere mir mitgeteilt haben. Die bislang erlebten Eindrücke und
Momente waren anders und wiegen dadurch die Mühen auf. Jeder sieht die Welt für
sich auf seine eigene Art. Der Blick auf einen Gegenstand lässt in
verschiedenen Menschen total verschiedene Gedanken frei. Man kann sich dann
lebhaft vorstellen, wie unterschiedlich die Erlebnisse eines ganzen Tages
wirken.
Am
Ende des Abends erlebe ich erneut eine Sinnfülle. Das Thema von Mussorgskys
„Bilder einer Ausstellung“ beschäftigt Klaus und mich als etwas Gemeinsames.
Der Troubadour vor dem „Alten Schloss“ zum Beispiel, veranlasst Klaus, spontan
diese Musik zu improvisieren. Wenn ich auch „ Bydlo “,
diesen alten trägen polnischen Ochsenkarren mit dem „Tor von Kiew“
durcheinanderbringe, hat sich ein kleiner musikalischer
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