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Jetz is, wo früher inne Vergangenheit die Zukunft war (German Edition)

Jetz is, wo früher inne Vergangenheit die Zukunft war (German Edition)

Titel: Jetz is, wo früher inne Vergangenheit die Zukunft war (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herbert Knebel
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hab. Und zwar den Rolf Sawitzky.
    Ich hol ma en bissken weiter aus. Bei dem Rolf war dat so, der war schon immer, ich sach ma, son Sonderling, son Außenseiter. Dat war der Einzigste, der bei uns inne Straße Abitur hatte. Wie et dazu kommen konnte, man weiß et heute nich mehr.
    Er hatte sich dann auch bei de Universität emmatrickuliert für Germanistik und Deutsch für Lehrer. Und dann hatte er sich aber unabhängig von den Ganzen in die Bärbel verliebt, die auch bei uns inne Straße gewohnt hatte. Und als die beiden ma zusammen aufe Kirmes waren, da is für ihn inne Schiffschaukel ne Welt zusammengebrochen. Da hat se sich von ihm getrennt. Sie sachte, sie würd et mit ihm nich mehr aushalten, weil, er wär zu schlau. Sie hätte in seine Gegenwart immer dat Gefühl, sie wär doof. Ich mein, man muss dazu sagen, die Bärbel war aber auch doof! Na ja, aber Gegensätze ziehen sich an, zumindest ne Zeitlang. Bisse sich abstoßen.
    Tja, und dann hat er vor Ort dat Schild gesehn: «Junger Mann zum Mitreisen gesucht!» Und dann hat er sich beworben als Schiffschaukelbremser, um sein Seelenschmerz zu überwinden. Da ham die den natürlich mit Kusshand genommen. Is klar, mit Abitur! Und dat hat der jahrelang gemacht.
    Einma im Jahr hab ich ihn immer besucht, wenn er mit seine Schaukel anne Gruga war. Da hab ich mich immer von ihm bremsen lassen. Tja, und eines Jahres war der auf einma nich mehr da. Da bremste mich jemand anders, und zwar war dat ne Frau. Da hab ich die Bremse gefragt, wo denn der Rolf Sawitzky wär. Da sachte sie, aah, unser Abiturient! Der is eines Tages spurlos verschwunden.
    Und dann hatten wir fast jahrzehntelang von dem Rolf nix mehr gehört. Und wat soll ich Sie sagen, die Tage steht er bei mir vor de Tür, hält mir sein Studentenausweis unter de Nase und sacht, er wär gez über die Bärbel drüber weg. Er würd gez wieder mit Studieren anfangen und ob ich nich mitkommen wollte als ihm seine moralische Unterstützung.
    Tja, da bin ich mitgegangen, weil, dat hatte mich schon immer interessiert, wat die da den ganzen Tach anne Uni treiben. Ja, da ham wir da mit unsern Erscheinen die ganzen Studenten unruhig gemacht, weil die anfangs gedacht haben, ich wär der Professor. Dat konnt ich aber relativ schnell mit wenige Sätze aufklären.
    Und dann ham mich tatsächlich en paar von die Studenten als den Herbert Knebel erkannt, und die sachten, die hätten im letzten Schuljahr sogar en paar Bücher von mir durchgenommen mit dem Thema «Sprache als kultureller Bankrott».
    Ich sach, sisse, Rolf, man kann et auch ohne Abi bis nache Uni schaffen!

Gebiss
    Boh glaubse, der Bodo Gerstenberger, der hat gez endlich seine Prothese! Aber … nich für Gliedmaßen, sondern für Zähne. Dat war vielleicht en Akt, dat sach ich Sie! Wir ham dat im Bekanntenkreis ja jahrelang beobachtet und begleitet. Dat wurd aber auch höchste Zeit für dem seine Dritten, weil, dem seine Zweiten, die sahen aus wie ne Trümmerlandschaft aus en Katastrophenfilm.
    Jetz muss man sagen, dat der Bodo aber auch alles dafür getan hat, den Karies und den Baktus Einlass zu gewähren, um sich an den seine Beißer zu vergnügen. Immer nur Klümpkes, dann schon ganz früh mitte Raucherei angefangen und die ersten Zahnschmerzen mit Zuckerrohrschnaps betäubt, wat ja dann während die Betäubung zu ein weiteren Substanzverlust geführt hat.
    Dann wurd Zahnpflege bei die ganzen Gerstenbergers immer ganz klein geschrieben, und Zahnarztbesuch war au nich, weil, der Bodo hatte als Kind ma den Film «Der Marathon-Mann» gekuckt, wissen Se, wo der Laurenz Oliverje da son Nazizahnarzt gespielt hat und den Dustin Hoffmann mitte Bohrmaschine die Kauleiste ruiniert hat, um ein Geständnis aus den rauszukriegen. Ich hab den an für sich immer gern gekuckt, den Film, aber bei den Bodo muss dat en nachhaltigen Schock hinterlassen haben, so dat der nie zum Zahnarzt gegangen is.
    Ja, aber irgendwann war dat für uns Bekannte nich mehr mit anzukucken und au nich zu riechen. Dat müffelte schon son bissken, wie wenn einer verfault. Und der Bodo hatte auch keine Zahnschmerzen mehr, der hatte Ruinenschmerzen. Dat sah bei den aus, als wenn da nur noch Backofenreiniger oder ne Abrissbirne helfen tät.
    Ja, aber irgendwann ham wir ihn wohl überzeugt. Ausschlachgebend war vermutlich, dat wir ihm noch ein späteren Film mit Dustin Hoffmann gezeigt haben, wo man sehen konnte, dat et den Dustin wieder gutgeht: Kramer gegen Kramer. Und dann ham wir den Bodo beim Zahnarzt

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