Jetzt! - die Kunst des perfekten Timings
des schnellsten Prozesses
Extrem hohe Geschwindigkeiten oder Änderungsraten sind in der Regel in Prozessen zu erwarten, die überwiegend mit Symbolen wie Zeichen, Gleichungen oder Worten arbeiten, welche für reale Gegenstände stehen. So können wir einem Satz auf einer Seite um ein Vielfaches schneller das Wort Baum hinzufügen, als ein realer Baum wächst. Und wenn Symbole lediglich auf andere Symbole verweisen, können schwindelerregende Geschwindigkeiten erreicht werden. Denken Sie nur an Computer, die über Highspeed-Algorithmen Tausende Handelsvorgänge pro Sekunde an der Wall Street ausführen. Die Höchstgeschwindigkeit des schnellsten Prozesses (Symbole, die auf andere Symbole verweisen) ist extrem schnell.
Geschwindigkeit und Komplexität von Symbolsystemen waren an der Finanzkrise beteiligt, die 2008 über den Globus fegte. Die Vorgänge erinnern an das erste vollständig abstrakte Gemälde, das Wassily Kandinsky vor hundert Jahren malte. In einem abstrakten Gemälde sind die Formen auf der Leinwand kein Abbild der realen Welt. Das Kunstwerk schafft vielmehr seine eigene Wirklichkeit: Es ist ein geschlossenes, selbstreferenzielles System. Das Gleiche gilt für komplexe Finanzinstrumente. Wie abstrakte Kunstwerke besitzen auch die Gebilde der Finanzingenieure häufig keinen unmittelbaren Zusammenhang zu dem, was wir als »reale Welt« oder »Realwirtschaft« bezeichnen. Der Schriftsteller Thomas Wolfe nannte Aktien und Wertpapiere deshalb »verdunstetes Eigentum«. »Menschen verlieren völlig den Kontakt zu den zugrunde liegenden Vermögenswerten. Es ist alles Papier – diese esoterischen Erfindungen.« 11
Abstrakte Künstler brauchten lediglich Leinwand, Pinsel und Farbe, um Symbol und Realität zu trennen. Das moderne Finanzsystem brauchte die Geburt von Computern und Internet. Nach meiner Ansicht lässt sich das moderne Finanzsystem als Fortsetzung abstrakter Malerei mit anderen Mitteln sehen, um einen Ausspruch von Carl von Clausewitz abzuwandeln. Beide sprechen ein tiefes menschliches Bedürfnis an: das Bedürfnis, Symbole zu verwenden, zu schaffen und mit ihnen zu spielen. Leicht ironisch könnte man sagen, dass ein Gemälde von Jackson Pollock (wie Autumn Rhythm) das moderne Finanzsystem so gut darstellt, wie man es sich nur vorstellen kann. Komplexe Derivate sind das natürliche Resultat der kreativen Arbeit von »Finanzkünstlern«.
Der Schriftsteller Italo Calvino beschreibt, was in einer Welt passiert, in der Symbole auf andere Symbole verweisen. Eine seiner Romanfiguren sagt:
Sie wissen nicht, daß ich mein Finanzimperium nach genau dem Prinzip der Kaleidoskope und katoptrischen Apparate 12 aufgebaut habe, indem ich wie auf einem Schachbrett kapitallose Gesellschaften multiplizierte, Kredite ins Riesenhafte vergrößerte und katastrophale Passiva im toten Winkel täuschender Perspektiven verschwinden ließ. Mein Geheimnis, das Geheimnis meiner ununterbrochenen finanziellen Erfolge in einer Zeit, die so viele Krisen, Bankrotts und Börsenkräche erlebte, ist immer dies gewesen: Ich dachte niemals direkt an das Geld, an die Geschäfte und die Profite, sondern immer nur an die Brechungswinkel zwischen unterschiedlich geneigten schimmernden Flächen . 13
Die unterschiedliche Geschwindigkeit, mit der wir Zeichen und Symbole (oder aber die materielle Wirklichkeit, auf die sie verweisen) ändern können, ist eine der wichtigsten Tempodifferenzen der modernen Welt. Im Ergebnis haben wir Systeme, die mit Hypergeschwindigkeit laufen und ein Maß an Komplexität schaffen, das wir – selbst diejenigen, die solche Systeme zu regulieren versuchen – nicht ohne weiteres erfassen können.
Prüfen Sie anhand der Tempohülle, was Sie über eine bestimmte Situation wissen und nicht wissen. Wenn Sie über eine bestimmte Zelle kaum Informationen haben – vielleicht die Höchstgeschwindigkeit des schnellsten Prozesses nicht kennen –, sind mit Ihren Plänen und Projekten Risiken verbunden, die Sie nicht erkannt haben.
Dauer
Es ist wichtig, zu wissen, wie lange ein bestimmtes Tempo anhalten kann. Das veranschaulicht eine amüsante Geschichte über einen alten Wilderer und einen Wildhüter.
Der Wildhüter war hinter dem Wilderer her. Er hatte gehört, dass dieser sich vor Morgengrauen in die Wälder schlich, um Rotwild zu wildern. Verärgert, dass er den Wilderer nicht auf frischer Tat ertappen konnte, beschloss der Wildhüter, sich ab zwei Uhr morgens in den Büschen hinter der Hütte des Burschen
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