Jetzt! - die Kunst des perfekten Timings
auf die Lauer zu legen. In Kälte und Dunkelheit wartete er auf ein Lebenszeichen, um dem Wilderer zu folgen und ihn zu überführen. Gegen vier Uhr morgens ging tatsächlich in der Hütte das Licht an, und der Wildhüter sah, dass sich dort etwas regte. Er war zuversichtlich.
Dann trat der alte Wilderer aus der Hütte auf die hintere Terrasse und rief in die Dunkelheit: »Wildhüter, es hat doch keinen Sinn, in denBüschen zu liegen und nass und kalt zu werden. Kommen Sie doch herein und trinken Sie eine schöne Tasse Kaffee.«
Der Wildhüter merkte, dass seine Tarnung aufgeflogen war, stand auf und ging in die Hütte, um sich aufzuwärmen. Einige Wochen später versuchte er es erneut. Wieder schlich er sich um zwei Uhr nachts in eisiger Kälte in die Büsche hinter der Hütte des Wilderers. Endlich ging dort ein Licht an. Wieder gab es Anzeichen von Aktivität. Der Wilderer trat auf seine Terrasse.
»He, Wildhüter«, brüllte er. »Holen Sie sich da draußen in den Büschen bloß keine Erkältung. Kommen Sie herein, trinken Sie einen Kaffee und wärmen Sie sich auf.« Äußerst verlegen ging der Wildhüter hinein und trank mit dem alten Wilderer Kaffee.
So ging es eine geraume Weile, und dem Wildhüter gelang es nicht, den Wilderer zu schnappen. Einige Zeit später hörte er, dass der Wilderer nach einem schweren Herzinfarkt im Krankenhaus lag. Also besuchte er ihn und bat ihn: »Eins müssen Sie mir sagen. Als ich in den Büschen versteckt auf Sie wartete, woher wussten Sie, dass ich da war?« Der alte Wilderer wandte ihm lächelnd den Kopf zu.
»Ich wusste gar nicht, dass Sie da waren, mein Junge. Seit dreißig Jahren bin ich jeden Morgen auf die Terrasse gegangen und habe immer dasselbe gerufen.« 14
Diese Geschichte lehrt uns, dass kontinuierliches Handeln eine Möglichkeit ist, die mit der Dauer verbundenen Probleme zu lösen. So handelt man nie zu früh oder zu spät. Das kann allerdings kostspielig und ermüdend sein. Wenn Sie über das Tempo Ihres eigenen Tuns entscheiden, fragen Sie sich daher, was auf Dauer durchzuhalten ist. Der Wilderer in der Geschichte fand ein Tempo, das er über lange Zeit beibehalten konnte, und das sicherte ihm den Erfolg.
Richtung: Wohin die Reise geht
Geschwindigkeit zeigt an, wie schnell etwas passiert. Als physikalische Größe beinhaltet sie zudem die Bewegungsrichtung. Häufig meinen wir, effektives Handeln hänge von dem Wissen ab, wohin sich etwas entwickelt, also eigentlich davon, Bewegungsrichtung und Geschwindigkeit zu kennen. In vielen Situationen ist die Richtung klar. Die meisten Geheimnisse kommen letztlich ans Licht. Im Laufe der Zeit werden fragmentierte Industrien sich zusammenschließen, Blasen werden schließlich platzen und so weiter. Aber manchmal spielt die Änderungsrichtung keine Rolle: Es kommt nur auf die Geschwindigkeit an. Das gilt vor allem für die Mode. Es ist unwichtig, ob Krawatten breiter oder schmaler oder Röcke kürzer oder länger werden, so lange nur etwas Neues die Aufmerksamkeit der Kunden erregt. So überschwemmte Honda in den 1980er Jahren den Markt innerhalb von 18 Monaten mit so vielen neuen Motorradmodellen, dass Motorraddesign zu einer Modefrage wurde. Der Konkurrent Yamaha konnte da nicht mithalten. 15 Das ist eine interessante Strategie, die man sich merken sollte. Tatsächlich sind extrem hohe Änderungsraten mit ein Grund, weshalb manche Branchen fortwährend wachsen.
Objektiv oder subjektiv: den Unterschied kennen
Zwischen der tatsächlichen Geschwindigkeit, mit der etwas passiert, und der wahrgenommenen Geschwindigkeit liegen Welten. So hat ein Jahr immer 365 Tage, aber mit zunehmendem Alter scheint es immer schneller zu vergehen. Damit man nicht vergisst, diesen Unterschied zu berücksichtigen, verwende ich die Bezeichnungen O-Tempo (objektives Tempo) und S-Tempo (subjektives Tempo). Kundenbeschwerden sind wahrscheinlich eher von dem subjektiven als dem objektiven Tempo getrieben. Aber im Fall Apple führte der Unterschied zwischen objektivem und subjektivem Tempo zu einer Innovation. Das Unternehmen fand etwas Interessantes heraus: Wenn Kunden einen Fortschrittsbalken beobachten konnten, hatten sie den Eindruck, der Computer arbeite schneller. 16 Ganz ähnlich zeigen Anzeigetafeln auf amerikanischen Highways während der Stoßzeiten manchmal die Zeit an, die man bis zu einem bestimmten Punkt braucht: 18 Minuten bis zur Route 280. Irgendwie ist das beruhigend. Ohne solche Angaben würde das subjektive Empfinden, wir
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