Jetzt! - die Kunst des perfekten Timings
Übergewichtiger und eines projektierten Marktanteils von 20 Prozent ist die Zahl der Menschen, die das Medikament nehmen werden, recht groß. Nebenwirkungen, die teils potenziell tödlich sein könnten, wurden auf »weniger als 5 Prozent« geschätzt, aber 5 Prozent einer sehr großen Menge ist nun mal eine sehr große Menge. Bei potenziell Hunderten Toten stünde das Unternehmen vor einer PR-Katastrophe. Der Absatz seiner anderen Medikamente wäre gefährdet, weil das Vertrauen der Öffentlichkeit in das Unternehmen abstürzen würde. Das Sitzungsprotokoll enthält keinerlei Hinweise auf Konkurrenzdruck oder eine finanzielle Zwangslage, die für das rasche Vorgehen sprechen oder es zumindest vernünftig erklärenkönnten. Die Entscheidung für die Markteinführung des Medikaments, ohne zunächst Dr. Heller, den leitenden Forscher des Unternehmens, anzuhören, ist unverantwortlich. Aber im Verlauf des Meetings scheint es extrem schwierig zu sein, diesen Ausgang zu verhindern. Die Anwältin versucht es und scheitert.
Wir alle waren schon in solchen Meetings. Könnten Sie etwas vorbringen, was die Markteinführung des Medikaments hinauszögern und die Zustimmung aller Anwesenden, einschließlich Jonathans fände? Für die meisten dürfte diese Aufgabe eine mission impossible sein. Aber wie wir in diesem Kapitel sehen werden, ist sie das keineswegs. Wir müssen – und das ist entscheidend – die Dynamik des Meetings durch alle sechs Zeitlinsen betrachten. Jede von ihnen hilft, zu klären, warum Widerspruch so schwierig ist. Sobald wir die Schwierigkeit erkannt haben, können wir Möglichkeiten finden, sie zu überwinden. Alle diese Vorschläge werde ich nummerieren, um daraus am Ende des Kapitels eine effektive Strategie zu entwickeln. Fangen wir mit den Risiken an, die das Unternehmen mit der Markteinführung des Medikaments eingeht.
Kurz nach dem 15. Redebeitrag, in dem die negativen Nebenwirkungen erstmals erwähnt sind, könnten Sie etwa folgenden Einwand vorbringen:
(1) Korrigieren Sie mich, wenn ich mich irre, Bob, aber sagten Sie nicht, dass wir mit einem Marktanteil von 20 Prozent in nur wenigen Jahren rechnen? Das ist großartig. Das sind beeindruckend viele Leute und beeindruckende Profite. [Pause] Aber mir scheint, wenn auch nur bei einem kleinen Prozentsatz der Leute schwere Nebenwirkungen auftreten, könnten wir ein ernsthaftes Problem bekommen. Ein kleiner Prozentsatz einer sehr großen Menge ist schließlich eine sehr große Menge. Wir könnten Hunderte Kranker aufgrund dieses Medikaments bekommen, und falls das einträte, hätte es Auswirkungen auf das gesamte Unternehmen – auf unsere sämtlichen anderen Produkte. Unser Ruf stünde auf dem Spiel.
Leider ist diese Äußerung gefährlich, weil sie die Autorität des Präsidenten bedroht. Macht lässt sich aus vielen Perspektiven betrachten, aber unter dem Timingaspekt bedeutet Macht die Fähigkeit, eine Reihe von Zeitelementen zu steuern, nämlich Sequenz, Interpunktion, Tempo, Intervall, Dauer und Form.
Jonathan kann das Meeting jederzeit eröffnen und beenden. Er bestimmt Länge (Dauer), Anfang und Ende (Interpunktion) sowie Tempo (Geschwindigkeit) des Gesprächs.
Das Meeting verläuft in einem Hin und Her (Form), da verschiedene Teilnehmer sprechen und einander antworten. Jonathan entscheidet, wer spricht und wie lange (Intervalle).
Jonathan kann sich jederzeit beliebig lange zu jedem Thema äußern.
Er kann Intervalle und somit Zeitfenster für Gelegenheiten verlängern oder verkürzen. Er kann Beiträge abtun oder eine detailliertere Antwort verlangen.
Vor allem aber kontrolliert Jonathan die Abfolge (Sequenz) des Meetings. Tatsächlich hat er die normale Reihenfolge einer Sitzung umgekehrt, in der eine Entscheidung zu treffen ist. Um zu sehen, wie er damit die Möglichkeit einschränkt, Einwände zu äußern, betrachten wir das Meeting durch die Sequenzlinse.
Die Sequenzlinse
Jonathan eröffnet die Sitzung mit dem Satz: »Wir haben heute nur einen Punkt zu besprechen, und ich denke, wir können die Sache recht zügig abhandeln.« Die Entscheidung für die Markteinführung des Medikaments ist also eigentlich schon gefallen. Jeder im Raum weiß es. Diesen Stand der Dinge veranschaulicht Abbildung 7.1.
In einem solchen Meeting sieht die normale Abfolge so aus: Zuerst wird über die fragliche Angelegenheit diskutiert und am Ende trifft man eine Entscheidung. Vor der Entscheidung ist ein Zeitfenster für Debatten und Diskussionen offen, aber
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