Jetzt ist gut, Knut (German Edition)
brauch auch keinen. Un dich brauch ich auch nich.« Möglicherweise war meine Aussprache ein wenig unklar. Bruno flüsterte mit Tim. »Sie trinkt schon zwei Stunden, da dachte ich, ich ruf besser an. Du kennst die doch.« – »Bruno, alde Petze, gib mir noch n Wein.« – »Ist keiner mehr da, hab ich doch gesagt.« – »Annern Wein.« Er zuckte mit den Schultern und schenkte mir ein Glas ein. Tim bestellte für sich ebenfalls einen Rotwein und setzte sich neben mich an die Bar. Bruno verzog sich ans andere Ende des Tresens und zapfte Bier für eine Gruppe Rentner, die im Gastraum Karten spielten.
»Was ist passiert, Lilli?« – »Nix.« Er sah mich nur an. Mit diesen tollen Augen, die in einem früheren Zeitalter meine Beine zum Zittern gebracht hatten. Damals, als Männer in meiner Welt noch einen Platz hatten. – »Du bist doch sonst nicht so. Hat dir jemand weh getan? Dein Mann?« – »Der kann mir gar nich weh tun, dassu is der gar nicht inner Lage. Mir kann keiner weh tun, mir nich!« Ich hielt mich am Tresen fest, um nicht vom Hocker zu rutschen. »Außerdem isser weg. Macht aber nix.« – »Aha.« Tim unterdrückte ein Grinsen, das sah ich genau. »Lach mich nich aus!« – »Kein Gedanke!« – »Kannst du eigentlich Geige spielen?« – »Nein. Sollte ich?« Er lächelte verwundert. »Nö, iss schon okay.« Ich musste hier weg, bevor ich noch mehr Unsinn redete. Und bevor er noch einmal lächelte und meine neue Lebensphilosophie ins Wanken brachte, die da lautete: Eine Frau ohne Mann ist wie ein Fisch in freiem Gewässer.
Vorsichtig ließ ich mich von dem Hocker gleiten, der auf wundersame Weise gewachsen schien. So hoch war das blöde Ding doch vor zwei Stunden noch nicht. Tim fing mich auf, ehe ich zu Boden ging. »Komm, Lilli, ich bring dich besser nach Hause.« Ich hätte dem Mann dankbar sein sollen, der mich mit festem Arm stützte und bis zu unserer Wohnungstür bugsierte. Aber ich war viel zu sehr damit beschäftigt, meine Füße zu koordinieren, mich zu schämen und schließlich den Schlüssel ins Schloss zu bekommen. »Trinkst du noch einen Kaffee mit mir?« Erleichtert stellte ich fest, dass meine Zunge mir wieder einigermaßen gehorchte. Tim sah mich zweifelnd an. »Solltest du dich nicht besser hinlegen?« – »Erst Kaffee.«
Ich spürte seine Blicke in meinem Rücken, während ich die Kaffeedose aus dem Schrank holte, unfallfrei die Bohnen mahlte, die Kaffeemaschine startete und Becher auf den Tisch stellte. »Milch, Zucker?« – »Schwarz.« Er trank seinen Kaffee genauso wie ich meinen. Ich schenkte ein, setzte mich und sah ihn an. Tim passte in diese Küche wie ein Schwan in den Hühnerstall. »Willst du mir nicht doch sagen, was heute mit dir los ist? Vielleicht kann ich ja helfen.« Mein erster Impuls war, ihm eine Geschichte zu erzählen. Aber selbst mir fiel gerade keine ein. »Ach, es ist nur der gute alte Klassiker. Mein Mann hat eine andere und ist heute ausgezogen. Das kam ein bisschen überraschend.« Ich wollte ein kleines Lachen an den Satz hängen. Heraus kam ein kleines Schluchzen. Und dann hing ich angetrunkenes Stück Elend auch schon an Tims breiter Brust und heulte mir die Seele aus dem Leib.
Mit der Geduld eines Beichtvaters ließ er mich weinen. Der Kaffee wurde darüber kalt. Mir dagegen wurde sehr warm. Tim streichelte meinen Rücken, so wie das zuletzt vielleicht meine Mutter getan hatte, als ich noch in den Windeln lag. Es fehlte nicht viel, und ich wäre an seiner Schulter eingeschlafen. Meine Augen waren schon zu. »Wo ist denn hier das Schlafzimmer?«, flüsterte seine tiefe Stimme nah an meinem Ohr. »Zweite Tür links vom Flur«, flüsterte ich zurück und gab mir Mühe, die Augen wieder aufzumachen. Er trug mich. Als wöge ich nicht mehr als ein Kätzchen. Und wie ein Kätzchen rollte ich mich zusammen, sobald mein Kopf das Kissen berührte. Tim zog mir die Schuhe aus, deckte mich zu und schloss leise die Tür. Von außen. Aber das bekam ich schon nicht mehr mit.
Am Morgen fand ich in der Küche einen Zettel und eine Packung Aspirin. »Schöne traurige Lilli, ich hoffe, der Kater wird nicht zu schlimm. Wenn du mich brauchst, ruf an. Tim«. Darunter stand seine Handynummer. Ich schickte ihm eine SMS – »Danke für alles. Lilli« –, meldete mich für diesen Tag im Sender ab, schluckte eine Tablette und ging wieder ins Bett.
»Es ist doch völlig wurscht, wer den Müll rausgetragen hat«, sagte Marie-Anne am Telefon. »Hauptsache, er ist weg und
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