Jetzt ist gut, Knut (German Edition)
kann nicht mehr stinken.« Ich brauchte eine Weile, ehe ich begriff, dass sie von Knut sprach. »Sie meinen: verlassen oder verlassen werden macht keinen Unterschied?« – »Nicht, wenn die Verlassene selbst auf dem Sprung war.« Hm. Da hatten wir das Problem. Ich war mir nicht sicher, ob ich wirklich auf dem Sprung gewesen war. Im Moment kam es mir eher so vor, als hätte mir jemand etwas weggenommen, was ich unbedingt behalten wollte. »Das ist nur verletzter Stolz«, meinte Marie-Anne. »Glauben Sie mir, das legt sich. Und dann werden Sie froh sein.«
Zwei Wochen nach dieser verheißungsvollen Vorhersage war ich immer noch nicht froh, aber dafür stinksauer. Mein unverschämter, ignoranter, impertinenter Mistkerl von Ehemann weigerte sich beharrlich, mit mir zu sprechen. »Ich will nicht reden, jedenfalls nicht im Moment. Ich will in Ruhe nachdenken.« Das waren Knuts letzte Worte an mich, gesprochen am Tag zwei nach Platzen der Bombe. Da hatte ich ihn auf seinem Handy erreicht. Und noch ehe ich selbst viel sagen konnte (zum Beispiel: »Lüg mich nicht an, du hast eine andere!«), hatte er aufgelegt. Seitdem ging er nicht mehr ans Telefon. Anfangs glaubte ich, an den vielen Fragen, die ich Knut stellen wollte und nicht konnte, ersticken zu müssen. Wäre Marie-Anne nicht gewesen, ich hätte wahrscheinlich eine Dauerkarte für Hagenbeck erstanden und mich im Affenhaus angekettet, bis Knut sich bereit erklärte, mit mir zu sprechen.
Der Mistbeutel kam nur in die Wohnung, wenn ich bei der Arbeit war. Dann holte er sich frische Wäsche, versorgte die Tiere und hinterließ kleine gelbe Nachrichten für mich auf der Kommode. »Herkules hat nicht gekackt, du musst noch mal mit ihm los.« Oder: »Finde meine schwarzen Socken nicht, bitte rauslegen.« Inzwischen hatte ich eine handfeste Allergie gegen kleine gelbe Zettel entwickelt. Sobald ich sie sah, musste ich sie in winzige Fetzen reißen. Am Wochenende ließ er sich nicht blicken.
»Wut ist gut, Wut hilft Ihnen loszulassen. Seien Sie Ihrem Mann dankbar für diese Chance, Lillian! Sie allein können jetzt darüber bestimmen, wie Sie leben wollen! Vergessen Sie nicht, Sie sind …« – »… intelligent, gutaussehend und eine Frau mit Stil?« – »Genau. Und jetzt rufen Sie schon diesen Hundemann an. Damit Sie auch wieder eine Frau mit Liebesleben sind. Auf, auf, Kleopatra!«
Ein Teil von mir wollte innehalten, wollte herausfinden, was eigentlich gerade mit meinem Leben passierte. Warum zum Teufel alles aus den Fugen geraten war, warum von dem Leben, das ich kannte, nichts mehr übrig war (außer Yvonne Berger natürlich, aber die war nun wirklich kein Trost). Wann hatten Knut und ich uns verloren? Die Wohnung fühlte sich kalt und komisch an, so ohne ihn. Inzwischen hielt ich mich, wenn ich zu Hause war, fast ausschließlich in Julias Zimmer auf. Meine Welt war auf zwölf Quadratmeter geschrumpft. Warum, warum, warum? Um ehrlich zu sein, hatte ich eine Heidenangst vor den Antworten. Aber das gestand ich mir nicht ein. Also fütterte ich den fragenden Teil meines Ichs so lange mit Pralinen und Schokolade, bis er ruhig war. Ich brachte ihn ins Kino und ins Theater, ich lenkte ihn ab und verbot ihm den Mund. Um mein Tagebuch machte ich einen großen Bogen. Ich wollte die große Leere nicht spüren, die sich in mir auszubreiten drohte wie eine Springflut. Lieber schnell ganz viele Sandsäcke packen, das Loch zuschütten – und auf Marie-Anne hören.
Sie hatte völlig recht. Mein neues Leben begann hier und jetzt. Innehalten und mir den Kopf zerbrechen konnte ich mit achtzig immer noch. Warum leidend und grübelnd zu Hause hocken, während Knut sich anderweitig vergnügte? Er mochte das ja »in Ruhe nachdenken« nennen, aber ich glaubte ihm kein Wort. Dann durfte ich ja wohl auch ein bisschen Freude in mein Leben bringen und zum Beispiel mal nett essen gehen. Entschlossen griff mein neues Ich zum Telefon.
9
L illi, das ist aber eine schöne Überraschung!« Tim klang ehrlich erfreut. »Wie geht es dir inzwischen?« – »Viel besser, danke der Nachfrage. Ich … ich wollte mich noch mal bei dir bedanken, wegen neulich.« – »Musst du nicht, war doch selbstverständlich.« – »Na, ich weiß nicht, ich kenne nicht gerade viele Männer, die sich um angetrunkene Frauen kümmern würden, die sie kaum kennen.« – »Ich bin eben ein ganz besonderes Exemplar.« – »Und so bescheiden!« Wir mussten beide lachen. Na also, lief doch ganz gut. Jetzt nur nicht den Mut
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