Jetzt ist gut, Knut (German Edition)
schönen alten Fenstern in einem Erker. Oktobersonne zauberte kleine Lichteffekte auf den zart nach Politur riechenden Holzboden und ließ die seidigen Brautkleider auf ihren Ständern leuchten. Ich liebte Brautkleider. Andere Menschen gingen in Lichtsaunen, um die Stimmung zu heben, ich bevorzugte kleine elegante Brautmodengeschäfte. Und nicht zum ersten Mal machte ich die Erfahrung, dass Frauen, die in solcher Umgebung arbeiteten, ausgesprochen empfänglich für romantische Erzählungen waren. Ich hatte mir einen Tag freigenommen und war eigens nach Lüneburg gefahren, um mich ein bisschen aufzuheitern.
Das war auch bitter nötig. Seit Tagen gab ich mir alle Mühe, das Bild von Knut und der fremden Blonden aus meinem Kopf zu verdrängen und mir einzureden, dass ich eine ganz harmlose Szene beobachtet hatte. Wahrscheinlich war Knut einfach nur ein Bier trinken gegangen und dann einer dieser mitleiderregenden Frauen in die Hände gefallen, von denen man immer liest. Sie hatte ihm von ihrem brutalen Ehemann erzählt, und er hatte sie getröstet. Oder so ähnlich. Knut konnte für jede geschundene Kreatur Mitleid aufbringen. So musste es einfach gewesen sein. Dass er mich betrog, konnte und wollte ich mir nicht vorstellen. Nur ab und zu schlichen sich wieder Zweifel ein, und sofort fühlte ich mich schrecklich. Dann ging ich Geschichten erzählen oder einkaufen. So wie gerade jetzt.
»Probieren Sie mal das hier.« Die Verkäuferin – »Nennen Sie mich doch Nadine« – zog ein champagnerfarbenes Kleid hervor. »Das ist ganz schlicht geschnitten und betont Ihren schmalen Rücken.«
Natürlich kaufte ich kein Brautkleid. Nach sehr entspannten zwei Stunden und einem weiteren Glas Sekt packte Nadine eine roséfarbene Abendrobe aus reiner Seide mit dezent besticktem Oberteil in eine exquisite Tüte. Sie stand mir ausnehmend gut und passte zu verschiedenen Anlässen. Erst im Zug zurück nach Hamburg fiel mir wieder ein, dass es in meinem Leben ebenso wenig Anlässe für seidene Abendkleider gab wie einen Miguel.
So konnte das nicht weitergehen. Schon weil allmählich der Platz im Schrank knapp wurde. Ich würde noch in einer dieser Sendungen landen, in denen ein älterer Herr mit verständnisvollem Blick und vernunftsignalisierender Brille mal ein ernstes Wort mit mir über Kaufsucht redete. Andererseits: Wenigstens würde dann überhaupt jemand mit mir reden.
Knut gab immer noch den großen Schweiger. Wenn er denn überhaupt zu Hause war, sagte er nur das Nötigste. »Was willst du essen?« – »Egal.« – »Wie war dein Tag?« – »Okay.« – »Wie geht es Samara?« – »Gut.« Den Rest der Zeit hing er vor dem Fernseher, und es war ihm völlig gleich, ob er eine seiner verdammten Dokumentationen zum dritten oder zum siebten Mal sah.
Inzwischen war ich so frustriert und wütend, dass meine Stimme ganz automatisch einen schrillen Ton bekam, wenn ich etwas zu Knut sagte. Gestern hatte ich ihn angebrüllt: »Rede mit mir, verdammt noch mal!« Seine einzige Reaktion war ein genervter Blick gewesen. Egal, was ich versuchte, ich drang überhaupt nicht mehr zu ihm durch. Dabei hatte die Liste der Dinge, über die wir wirklich dringend mal sprechen sollten, eine solche Überlänge wie seinerzeit Ben Hur . Sie reichte von »Warum ich nicht aufs Land ziehen will und dir nichts von meinem Lottogewinn erzählt habe« über »Wer war die blonde Frau?« bis zu »Was hältst du von einer Scheidung per Internet?«. Aber ich konnte Knut so wenig zu einem Gespräch zwingen wie aus einem Stein Wasser pressen.
Gerade wollte ich das neue Kleid unter ein altes in den Schrank hängen, da kam mir ein Gedanke. Wenn Knut partout nicht mit mir reden wollte, dann gab es vielleicht einen anderen Weg, ihn aus seiner wortlosen Übellaunigkeit zu reißen. Er war schließlich ein Mann. Und ich eine Frau. Die Seide des Kleides knisterte verheißungsvoll zwischen meinen Fingern. Ich hielt es vor mich, sah in den Spiegel – und lächelte mir zu. Genau, so würde ich es machen.
Knut kam um acht.
Ich hatte den Tisch im Wohnzimmer gedeckt. Zwar nicht mit weißem Leinen und Blumen, aber immerhin mit dem guten Geschirr und den Weingläsern aus Kristall. Als Vorspeise sollte es Jakobsmuscheln geben, dann Schweinefilet im Blätterteigmantel und zum Dessert ein edles Walnusseis. Dazu als besonderes Extra: Lilli in feiner Seide mit perlenbesetzter Brust. So weit das Menü. Mein weiterer Plan für den Abend: Überwältigter Ehemann vergisst allen
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