Jetzt ist gut, Knut (German Edition)
»Sie? Ich denke, Sie kennen hier niemanden?« – »Ich bin ja nun schon eine Weile hier«, meinte Marie-Anne und lachte, »ein paar Leute kenne ich inzwischen durchaus.« Ja, natürlich. Eine Frau wie Marie-Anne war in einem halben Jahr wahrscheinlich mit der halben Stadt befreundet.
Nach dem Telefonat ging es mir gleich besser. Schon merkwürdig. Ich kannte sie noch gar nicht lange – wir waren nicht mal per du –, aber ein Gespräch mit ihr hatte auf mich die Wirkung einer Droge. Ein Schuss Marie-Anne, und ich fühlte mich schöner, besser, freier. Mutiger. Bestimmt waren meine Augenränder immer noch rot, aber das war jetzt nicht mehr wichtig. Wen interessierten die Tränen von gestern? Wichtig war nur, was sie gesagt hatte: Ich war intelligent, ich sah gut aus, ich hatte Stil (könnte ich das für Tina bitte schriftlich haben?). Und ich konnte mein Leben ändern.
»Knut?« Keine Antwort. Nur die Tiere begrüßten mich, als ich mit besten Absichten nach Hause kam. Na gut, musste ich eben warten. Heute würde ich einen allerletzten Versuch machen, den Eisklotz zum Schmelzen zu bringen. Ich würde den Fernseher ausmachen, mich ihm gegenübersetzen und so lange da sitzen bleiben, bis er mit mir sprach oder mir zumindest zuhörte. Ganz sachlich und ohne Vorwürfe würde ich ihm erklären, dass es so mit uns nicht weiterging. »Knut«, würde ich sagen, »wir sind dabei, unsere Ehe, unsere Liebe zu verlieren. Wir müssen etwas dagegen tun. Alle beide.« Das klang doch gut? Wenn dann von ihm immer noch nichts kam, würde ich nachsetzen: »Sonst suche ich mir eine eigene Wohnung!«
Zwei Stunden später war er immer noch nicht da. Ich nickte auf dem Sofa ein und wachte auf, weil Herkules kläffte. Er wollte raus. Mittlerweile war es fast halb acht. Zum dritten Mal sah ich auf Knuts Dienstplan, der am Kühlschrank klebte. Nein, er hatte wirklich keinen Nachtdienst und hätte längst zu Hause sein müssen. Plötzlich erfüllte ein übler Geruch die Küche. Ich verzog das Gesicht. Herkules hatte gefurzt. Er musste wohl tatsächlich raus. Na gut. Ich zog mir die Jacke an und griff nach der Hundeleine. Sie lag wie immer auf der Flurkommode. Aber anders als sonst klebte ein hellgelber Zettel darauf. Auf den ersten Blick war es eine Nachricht. Auf den zweiten eine Bombe.
Ich ziehe für eine Weile zu Jens. Brauche Abstand. Herkules war um vier zuletzt draußen. Weiteres nach Absprache. Knut
Weiteres nach Absprache? Nicht etwa Aussprache? Ein hoher Jaulton erklang, und einen Moment lang dachte ich wirklich, ich hätte ihn selbst ausgestoßen. Aber es war der arme blähende Hund. Ich machte die Tür auf. Herkules schoss die Treppe hinunter. Langsam, wie in Trance, ging ich ihm nach, den Zettel in der Hand. Von fern hörte ich etwas poltern, jemanden fluchen, einen Hund kläffen – es ging mich nichts an. In der ersten Etage stand der Sanitäter und rieb sich das Bein. Wortlos ging ich an ihm vorbei. Er rief mir irgendetwas hinterher, ich hörte ihn und hörte ihn nicht. Mein Kopf steckte in Gelatine. In meinen Ohren hallte der Lärm der Bombenexplosion nach.
Auf der Bank an der Hundewiese kam ich irgendwann wieder zu mir, wahrscheinlich weil ich entsetzlich fror. Keine Ahnung, wie lange ich da schon gesessen hatte. Wenn sich mein Leben so weiterentwickelte, sollte ich neben der Bank mal besser einen Thermoschlafsack deponieren. Zu meinen Füßen hockte Herkules und präsentierte mir stolz ein totes Eichhörnchen.
Ich konnte es immer noch nicht fassen: Knut hatte mich verlassen. Er mich! Das konnte doch nicht sein. Ich meine, es handelte sich um Knut, den fleischgewordenen Stillstand. Um Knut, der kaum ertragen konnte, wenn ich die Klopapiermarke wechselte. Der jeder durchgelaufenen alten Socke einzeln nachweinte. Und dieser Mann sortierte mich einfach aus? Das war … das war … so … demütigend!
Es gab nur eine vernünftige Erklärung. Und die war blond.
Ich ging zu Bruno, um Glühwein zu trinken. Als Tim erschien, konnte ich mich nur noch mit Mühe auf dem Barhocker halten, und Brunos Glühweinvorräte waren erschöpft. Das war insofern schade, als ich soeben herausgefunden hatte, wie überaus unterstützend dieses Heißgetränk bei der Sammlung bedeutender Erkenntnisse wirkte. Ich zum Beispiel hatte erkannt, dass es nicht nur möglich ist, sich einen Mann schönzutrinken, sondern auch dessen Abwesenheit. »Keiner braucht Männer. Völlig überbewertete Spezies«, teilte ich deshalb Tim zur Begrüßung mit. »Ich
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