Jetzt ist gut, Knut (German Edition)
bisschen angeschlagen und hatte sich in den folgenden Tagen erstaunlich gut erholt (ja, genau, das andalusische Licht und seine famose Heilwirkung).
»Und jetzt sind Sie wieder im grauen Hamburg, der Doch-nicht-Geliebte ist in Spanien, und alles bleibt beim Alten?« – »Nein.« – »Nein?« – »Ich habe meinem Mann einen Brief geschickt und ihm ein Ultimatum gestellt. Wenn er nicht bis Ende des Monats sein albernes Schweigen beendet, gehe ich zum Anwalt.« – »Wow, Lillian Reich greift an! Wer hätte das gedacht? Glückwunsch.« Ich zuckte kurz zusammen. Irgendwann würde ich ihr sagen, wie ich wirklich hieß und dass ich nicht in der PR-Branche arbeitete. Sie hob ihre Kaffeetasse, als wollte sie mir zuprosten, trank einen Schluck und sagte: »Dann kommt meine Überraschung ja genau richtig.« – »Was für eine Überraschung?« – »Ich habe die ideale Wohnung für Sie gefunden. Gleich hier um die Ecke.«
»Na, was sagen Sie?« Marie-Anne lehnte mit dem Rücken an der Balkonbrüstung und inhalierte tiefe Züge von ihrer elektrischen Zigarette. Süßer Vanillegeruch zog in meine Nase. Eben waren die dunklen Wolken aufgerissen und jetzt wärmten mir Sonnenstrahlen das Gesicht. Es war nicht das Licht Andalusiens, aber immerhin. Unten von der Straße drangen leise Gesprächsfetzen zu uns herauf, ein helles Kinderlachen, dann der Ruf einer Frau. »Pass auf, Henriette, du fällst noch ins Wasser!« Wir befanden uns in der sechsten Etage des Marco Polo Towers. Ich sah an Marie-Anne vorbei hinaus auf die Elbe. »Das ist ein Traum, oder? Gleich wache ich auf und liege in meinem alten Bett.« Marie-Anne lachte nur ihr heiseres Lachen. »Kann ich noch mal durchgehen?« – »Natürlich, nur zu.«
Solche Lofts wie dieses kannte ich nur aus dem Fernsehen. Es war nicht groß, etwas mehr als fünfundvierzig Quadratmeter, aber jedes Eck perfekt genutzt. Edelstes Design in der kleinen offenen Küche, im Bad, einfach überall. Für meinen Geschmack ein bisschen zu farblos eingerichtet. Aber das ließ sich ja ändern. Das Parkett glänzte matt in einem goldenen Holzton, durch die bodentiefen Fenster flutete das Licht und ließ die Wände schneeweiß strahlen. Ich stellte mir große Grünpflanzen vor und hängte im Geiste Dekorschals in kräftigen Farben auf, vielleicht Orange und Gelb. Oder Rot. Vorsichtig ließ ich mich auf die cremefarbene Sitzlandschaft sinken, die vor einem der riesigen Fenster stand, und sah hinaus auf das Panorama des Stadtteils. Jeden Moment konnte sich ein Kreuzfahrtschiff ins Bild schieben, man stelle sich vor! Mit meinem Telefon machte ich ein paar Aufnahmen von der Aussicht und der Wohnung. Links konnte ich durch ein weiteres Fenster Marie-Anne auf dem Balkon stehen sehen. Sie telefonierte. Ich machte auch ein Foto von ihr. Und dann mit ausgestrecktem Arm eins von mir selbst auf der Sitzlandschaft – Lilli Karg auf Edelsofa. Ich kicherte. In diesem Gebäude wohnten Millionäre. Und vielleicht bald ich!
Marie-Anne setzte sich neben mich. »Schön, nicht?« – »Schön? Phantastisch!« – »Ich will Sie natürlich nicht beeinflussen. Aber meiner Ansicht nach ist das genau die mondäne Umgebung, die zu Ihnen passt.« Eine Weile schwiegen wir und beobachteten das Spiel der Wolken. »Und die Wohnung liegt wirklich in meinem Budget? Das ist doch die teuerste Gegend überhaupt, in der sich unsereins normalerweise nicht mal ein Wohnklo leisten kann.« – »Das stimmt schon, aber hier ist die Situation ein bisschen speziell.« Marie-Anne senkte die Stimme. »Was ich Ihnen jetzt erzähle, muss auf jeden Fall unter uns bleiben – auch wenn Sie sich gegen die Wohnung entscheiden. Versprechen Sie mir das?«
Ganz automatisch beugte ich mich ihr entgegen, um keines ihrer leisen Worte zu verpassen, und nickte. »Die Besitzerin dieser Wohnung ist eine meiner Patientinnen und infolge ihrer Erkrankung in Schwierigkeiten geraten. In wirklich große Schwierigkeiten, auch finanziell.« Sie seufzte. »Es geht ihr inzwischen besser, aber der Schaden ist angerichtet.« Offenbar hatte ich ein paar Fragezeichen im Gesicht. »Nein, Lillian, ich kann und darf nicht genauer werden, Sie wissen ja, die Schweigepflicht. Tatsache ist, dass die arme Frau diese Wohnung möglichst schnell zu Geld machen muss – zu Bargeld, um genau zu sein. Sie braucht bis Ende nächster Woche zweihundertfünfzigtausend Euro.« Marie-Anne sah wieder aus dem Fenster. »Schauen Sie mal!« Unten auf der Elbe fuhr jetzt tatsächlich ein
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