Jetzt ist gut, Knut (German Edition)
dazu massive dunkle Holzbalken unter der schrägen hohen Decke. Die anderen, das waren Vera, Jörg, Tim und noch fünf weitere Leute. Plötzlich fiel mir auf, dass Tim und ich hier mit einigem Abstand die Ältesten waren. Jörg sah mich als Erster. »Lilli, was macht der Fuß? Willst du was trinken?« Tim drehte sich zu mir um. »Hey, Schlafmütze, wieder fit?« – »Könnte ich bitte ein Glas Wasser bekommen?« – »Kaffee ist auch da.« – »Ja, dann bitte auch Kaffee. Und dem Fuß geht es besser, danke der Nachfrage.« Ich setzte mich auf den einzigen freien Stuhl zwischen Jörg und ein junges Mädchen mit dicken Rastazöpfen und einem babyzarten Teint. »Wie lange habe ich denn geschlafen?« – »Na, so drei Stunden. Ich hätte dich in ein paar Minuten geweckt. Wir gehen gleich rüber zum Konzert. Ein paar Leute kommen immer tierisch früh. Aber du kannst noch in Ruhe deinen Kaffee trinken.«
Stunden später wünschte ich mich auf einen anderen Planeten. Möglichst weit weg von der Scheune, in der ich auf einem Heuballen saß und nichts anderes zu tun hatte, als Wein zu trinken. Wenn nicht bald das Konzert anfing, würde ich hier und jetzt an Langeweile eingehen. Oder einen Mordanschlag auf Tim verüben, der mich hierhergeschleppt und inzwischen anscheinend vergessen hatte. Allerdings müsste ich ihn dafür erst einmal zu fassen bekommen. Ununterbrochen redete er mit irgendwelchen Gönnern des Tierheims, genauso wie Jörg und Vera. Was wollte ich hier? Was hatte ich unter diesen Leuten verloren? Und war dieser spezielle Moment heute zwischen Tim und mir nur ein Produkt meiner Phantasie?
Viele der älteren Tierheimfreunde – Engländer, Holländer und Deutsche, die in und um Ayamonte lebten – waren schon wieder gegangen, und noch immer gab es Musik nur aus der Stereoanlage. Aber obwohl Leute gingen, wurde es nicht leerer. Im Gegenteil. Immer mehr Menschen strömten in den Raum. Junge Menschen, wie ich erwähnen möchte. Seit Jahren hatte ich nicht so viele Dreadlocks, so viele löchrige Jeans und so viele lange Baumwollhemden auf einmal gesehen. Allmählich fühlte ich mich wie eine nach Woodstock versprengte Großmutter, die ziemlich tief ins Weinglas geguckt hatte.
Es mag um Mitternacht herum gewesen sein, als Bewegung in die Menge kam und die Menschen einem Mädchen Platz machten, bei dessen Anblick ich unweigerlich an eine Elfe denken musste. Alles an ihr war zart, fast schon durchscheinend. Glattes blondes Haar fiel ihr über die schmalen Hüften und glänzte silbern. Mit einer grazilen Bewegung ihrer langen Finger hob dieses Fabelwesen seinen langen Rock ein wenig an, stieg auf ein Podium, schloss die Augen und setzte eine kleine Flöte an die Lippen. Ein zarter hoher Ton drang mir direkt ins Herz. Die Gespräche im Raum erstarben. Da war nur noch das Spiel der Flöte, nur noch diese Musik, in der Sehnsucht lag und Schmerz, aber auch Trost und Frieden. Es ist nicht leicht in Worte zu fassen, was ich fühlte, ohne zu klingen wie besonders süßer Sirup. Dieses Kind mit seiner Flöte brachte eine Saite in mir zum Schwingen, von der ich nicht einmal gewusst hatte, dass es sie gab. Eben noch frustriert und übellaunig, hätte ich jetzt die ganze Welt umarmen können.
Ich wusste, dass Tim bei mir war, noch ehe ich seinen Brustkorb an meinem Rücken spürte und er seine Arme um mich legte. Der letzte Ton verklang, Applaus brandete auf. Auf dem Podium verbeugte sich das Mädchen und winkte weitere Musiker zu sich. Eine dunkle Version ihrer selbst erschien mit einer Geige und ein junger Mann mit einer Gitarre. Die Musik wurde voller, wilder, füllte jeden Winkel des Raumes. Ich fand sie betörend. »Celtic music«, flüsterte Tim mir ins Ohr. »Schön, nicht?« Ich nickte, wollte nicht reden. Nur hören und spüren. Die Musik, mich, ihn.
Wir gingen, noch bevor das Konzert zu Ende war, ich noch immer ein bisschen humpelnd. Tim nahm meine Hand und führte mich ganz selbstverständlich zu einem kleinen Häuschen. Leiser werdende Flötenklänge folgten uns durch die kalte Nacht. Ein fast heruntergebranntes Feuer in einem großen offenen Kamin erwartete uns. Vor dem Kamin zwei tiefe Polstersessel, ein Tischchen, darauf mehrere Kerzen, zwei Gläser und eine Flasche Wein. Während Tim neues Holz auflegte und die Kerzen anzündete, sah ich mir das Häuschen an. Es war klein und heimelig. In einer Ecke des Zimmers stand ein Doppelbett, gegenüber öffnete sich der Raum zu einer kleinen offenen Küche mit einer
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