Jetzt ist gut, Knut (German Edition)
Kreuzfahrtschiff vorbei.
»Natürlich würde meine Patientin erheblich mehr für diese Wohnung bekommen, wenn sie sie über einen Makler auf den Markt brächte oder inserierte. Aber damit wäre ihr wegen des Zeitdrucks nicht geholfen. Ja, und da habe ich ihr von Ihnen erzählt.« – »Von mir?« – »Na ja, nicht namentlich von Ihnen. Ich habe ihr nur gesagt, dass ich eine sehr nette und integre Frau kenne, die sich eine Wohnung am Wasser wünscht und lieber heute als morgen umziehen würde. Das stimmt doch?« Ja, das stimmte wohl. Marie-Anne stand auf und ging vor dem Fenster auf und ab. »Ich weiß, es ist alles ein bisschen ungewöhnlich, und ich will Sie zu nichts drängen. Aber meiner persönlichen Ansicht nach ist das eine klassische Win-win-Situation.«
Ich sah mich wieder in dem eleganten Loft um, das ganz sicher weit mehr wert war als zweihundertfünfzigtausend Euro. Da würde ich schon Gewinn machen, wenn ich es kaufte und gleich wieder verkaufte. »Aber ist das denn nicht illegal?« – »Was soll daran illegal sein? Noch leben wir in einem freien Land. Sie dürfen Ihr Geld ausgeben, wofür Sie wollen, und meine Patientin darf eine Wohnung zu dem Preis verkaufen, zu dem sie will. Das Finanzamt würde natürlich von Ihnen wissen wollen, woher das Geld stammt, aber das können Sie ja nachweisen. Und mit der anderen Seite haben Sie nichts zu tun; das ist allein Sache der Verkäuferin.« Das leuchtete ein.
»Denken Sie einfach darüber nach. Aber nicht zu lange.« Sie lächelte und drückte mir eine Mappe in die Hand. »Hier ist ein Dossier über die Wohnung und auch eine Vollmacht, die mich berechtigt, den Verkauf abzuwickeln. Schauen Sie sich das alles in Ruhe an, und dann telefonieren wir.« – »Warum kaufen Sie die Wohnung eigentlich nicht selbst?«, fragte ich. – »Das würde ich, wenn ich könnte, das dürfen Sie glauben. Leider habe ich gerade erst meine Wohnung in Winterhude gekauft. Mir fehlt das nötige Kleingeld.« Als wir uns vor dem Wohnturm voneinander verabschiedeten, war die Wolkendecke wieder geschlossen und es fing an zu nieseln. Marie-Anne klappte einen Knirps auf und trippelte auf ihren hohen Stiefeletten in Richtung Taxistand davon. Ich schlug den Kragen meines Mantels hoch und ging langsam zur U-Bahn. Die Nässe auf meinem Gesicht spürte ich kaum. Das Dossier drückte ich unter meinem Mantel an mich.
Ein Loft im Marco Polo Tower. In DEM angesagten Stadtteil Hamburgs. Ganz allein für mich. Wahnsinn. Ich konnte überhaupt nicht mehr aufhören zu grinsen. In der Bahn stellte ich mir vor, wie Mutter mich in meinem Loft besuchte und vor Staunen fast vom Balkon fiel. Dann erschien Julia und strich mit Ehrfurcht in den großen graublauen Augen über die edlen Armaturen in Bad und Küche, streckte die langen Beine auf der Sitzlandschaft aus und sagte: »Ich beneide dich!« Diese Vorstellung gefiel mir besonders. Ich blätterte in dem Dossier, konnte mich nicht sattsehen an den Fotos. Marie-Anne hielt mir eine Praline in Tortengröße vor die Nase. Und mal wieder war außer ihr niemand da, mit dem ich über die Praline reden konnte.
Nie war mir unsere Wohnung dunkler und kläglicher erschienen als an diesem Tag. Und leerer. Daran konnten selbst Herkules und die Katzen nichts ändern. Ich fand mich wieder im Flur vor dem Rahmen mit dem Konfuzius-Spruch. »Mit Menschen, die nicht auf demselben Weg wandeln wie du selbst, solltest du keine gemeinsamen Pläne schmieden.« Genau. Ich würde meine Pläne ab sofort allein schmieden. Langsam drehte ich mich um und ging nacheinander durch alle Räume. Strich mit der Hand über die blassgelben Tapeten des Wohnzimmers, im Schlafzimmer über die Tagesdecke des Bettes, in dem ich nicht mehr schlief. Schaute in den alten Kleiderschrank aus Kiefer, wo sich mein Strenesse-Anzug mittlerweile in bester Gesellschaft befand und nur darauf wartete, in eine passendere Umgebung umzuziehen. Musterte die Einbauküche im Landhausstil, im Bad die hellblauen Kacheln. Das alles hier kann sehr bald Vergangenheit sein, dachte ich. Du kannst den Mief hinter dir lassen. Knut hinter dir lassen. Neu anfangen. In meinem Inneren loderten die Bilder des Lofts wie ein Feuer, in dem Lilli und Lillian verschmolzen. Der Gedanke war fast zu schön, um wahr zu sein.
18. November
Best-of 1:
Ich habe mich entschieden. Ich will das Loft. Wenn ich ganz ehrlich bin, macht mir dieser Schritt zwar eine Heidenangst. Aber ich muss endlich etwas unternehmen. Ich will mich nicht mehr
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