Jetzt ist gut, Knut (German Edition)
anderen Frau, und das will er seinem geliebten Töchterchen nicht sagen. Basta. Aber wie kann Julia das erfinden? Also doch Knut. Wie konnte er davon wissen? Ich zermarterte mir das Hirn, aber ich kam nicht dahinter.
Wenn ich noch lange auf dieser Schaukel hockte, würde ich mir eine Lungenentzündung holen. Na und? Inzwischen war mir so kalt, dass meine Hände zitterten. Auf der anderen Straßenseite, oben im vierten Stock, sah ich das warme Licht in Tinas Wohnzimmer hinter der dünnen hellen Gardine. Da oben waren meine Tasche, mein Telefon, mein Geld und mein Mantel. Leider auch meine beiden Richterinnen, die vermutlich gerade genüsslich über mich herzogen. Ich konnte fast hören, wie sie sich beglückwünschten: Jetzt haben wir’s der bösen Lilli aber gegeben! Ich sah sie wieder nebeneinander auf dem Sofa sitzen, so anklagend, so selbstgerecht, so ungeheuer überheblich.
Langsam, ganz langsam, wie ein winziges Stück Glut, das nur ein bisschen Sauerstoff, ein bisschen Nahrung brauchte, um zur Flamme zu wachsen, begann in mir Wut zu glimmen. Ich stand auf, klingelte, wartete, bis Tina an die Gegensprechanlage kam und auf den Summer drückte. Bis ich wieder vor der Wohnung ankam, brannte die Wut schon lichterloh. Ich war mit einem Mal voller Energie; Tim wäre beeindruckt gewesen. Ich streckte die Brust raus und wurde ein Stück größer. Tina wich erschrocken zurück. So eine wütende Kleopatra stürmte eben nicht alle Tage in ihren Flur. Sekunden später stand ich vor Julia. Sie riss die Augen auf und presste sich instinktiv an die Rückenlehne des Sofas. Das war schon mal gut. Zu meinem eigenen Erstaunen wurde ich jetzt ganz ruhig.
»Du hörst mir jetzt mal gut zu, mein Kind. Du hast dich heute zum letzten Mal mir gegenüber aufgespielt wie der liebe Gott persönlich. Du hast nicht das mindeste Recht, dir ein Urteil über mich zu erlauben, nicht das mindeste! Was weißt du denn schon über mich? Hast du dich je gefragt, wie es mir geht? Wie ich mich fühle, wenn du mit deinem Aktenköfferchen alle Jubeljahre in unsere Wohnung schneist und mich behandelst wie deine Dienstbotin? Wie das ist, wenn du mich am Telefon abwimmelst, weil du ja ein ach so wichtiges Meeting hast? Ausgerechnet du nennst mich eine Egoistin? Hast du meine Probleme je ernst genommen? Nein, das hast du nicht. Ich bin ja nur die dumme kleine Sekretärin, auf die du spuckst! Würdest du das auch tun, wenn ich eine schicke Wohnung hätte? Würdest du dann auch mit deinem Freund zu Oma fahren und auf Reiche-Leute-Kind machen? Hast du eine Ahnung, wie weh das tut?« – »Aber Mama …« – »Halt den Mund!«
In meinem Rücken hörte ich Tina nach Luft schnappen. Mein Blick blieb auf Julia geheftet. »Richtig, ich habe deinem Vater nichts von dem Geld erzählt. Und du darfst mir glauben, dass ich dafür gute Gründe habe. Was weißt du Küken denn schon über eine Ehe? Was weißt du über meine Träume, meine Ängste? Du siehst, was du sehen willst. Stimmt, ich habe das Geld verloren. Ich werde dir auch sagen, warum: Weil ich so verdammt allein war, dass ich einer fremden Frau vertraut habe, nur weil sie mir zugehört hat! Weil sie mir das Gefühl gegeben hat, jemand Besonderes zu sein. Ein anderes Leben haben zu können. Willst du mich dafür verurteilen? Nur zu, mach es dir leicht! Das kannst du doch so gut.« Ich hätte die perlweißen Zähne in ihrem offenen Mund zählen können.
Mein Hals war so trocken wie Zwieback. Ich trank aus Tinas Wasserglas, das noch auf dem Tisch stand. Dann drehte ich mich um. Tina lehnte wieder am Türrahmen und machte Augen, so groß wie Untertassen.
»Und du? Du machst dir Sorgen um den armen Knut? Wie reizend von dir, was bist du doch für eine gute Freundin! Du hast dich zwar seit Monaten nicht gemeldet, aber sei’s drum.« Sie sagte nichts. »Weißt du, ich hab mich ehrlich gefreut, als du mich eingeladen hast hierherzukommen. Dumm, wie ich bin, habe ich tatsächlich gemeint, es ginge auch um mich. Oder besser: um uns. Ja, ich weiß, ich hab dir eine zickige E-Mail geschrieben. Aber ist das wirklich ein Grund, nicht mehr ans Telefon zu gehen? Nicht zurückzurufen, wenn du meine Nummer siehst? Wie lange kennen wir uns? Vierzig Jahre? Und da reicht ein Fehler von mir, um den Kontakt abzubrechen?« Tina betrachtete eingehend ihre Schuhspitzen. »Mir ist schon klar, dass du mir damals helfen wolltest. Aber weißt du was? Nicht deine tolle Liste aus dem Internet hat mir geholfen, sondern eine Frau, die
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