Jetzt ist gut, Knut (German Edition)
liegen. Verkehrte Welt – da kam ich aus spanischem Regen in strahlendes Hamburger Wetter. Der erste Anruf stammte von Kommissar Albers. Er bat um Rückruf. Drei der Nachrichten waren von Julia. Keine davon freundlich, um es milde auszudrücken. Auch meine Mutter hatte mehrmals ihre Ausrufezeichen auf das Band gebellt. Offenbar war sie erkältet, ihre Stimme klang heiser. Knuts Stimme dagegen war leise und bittend. Irgendwie kraftlos. Fremd. Keine Nachricht von Tina. Aber sie rief ich als Erste an.
Mein Puls schlug schneller, sobald ich ihre Stimme hörte. »Lilli. Du.« Das klang nicht übermäßig freundlich. »Ja. Hallo, Tina.« Ich musste mich räuspern. »Also, was ich sagen wollte: Als du mich gestern angerufen hast, da war mein Akku alle. Und ich war gerade in einem Hotel in Spanien und hatte kein Ladegerät mit. Deshalb konnte ich nicht früher zurückrufen. Ich bin eben erst zurückgekommen. Ehrlich.« Sie antwortete nicht. Das blöde kleine Wort »ehrlich« erzeugte in meinem Kopf einen Widerhall, als hätte ich einen Gong geschlagen. Schweigen. Vielleicht hörte sie ihn auch. »Du hast gesagt, du hättest Knut getroffen?« – »Nicht getroffen. Ich habe ihn gesehen. Getroffen habe ich Julia.« Jetzt war ich verwirrt. »Julia ist in Hamburg?« – »Ja, ist sie. Ich möchte das nicht so gern am Telefon besprechen. Können wir uns treffen? Jetzt, wo du nicht mehr in SPANIEN bist.« Ihre Ironie war nicht zu überhören. Ich war hin- und hergerissen. Ein Teil von mir brüllte innerlich »Frechheit« und wollte schon auflegen, ein anderer wollte noch einmal beteuern, dass ich nicht gelogen hatte, der dritte (der mit den guten Vorsätzen) aber sagte: »Sicher, gern.« – »Um acht bei mir?« Ich sagte zu. Immerhin hatte sie einen Schritt auf mich zu gemacht. Dann rief ich bei der Polizei an. Kommissar Albers bestellte mich für den nächsten Tag in sein Büro.
Das Telefonat mit meiner Mutter war in mancher Hinsicht ein Erlebnis der besonderen Art. Sie war extrem heiser. »Elisabeth«, krächzte sie, »die van Dettens brauchen Karten für den Tierpark, kümmerst du dich?« – »Nein.« – »Nein?« – »Nein.« Ein empörtes Röcheln am anderen Ende der Leitung. »Hör zu, Mutter, irgendwann erfährst du es ja sowieso. Knut ist ausgezogen. Sag deinen Freunden, sie sollen sich die Karten kaufen.« Ihr Husten war mitleiderregend. »Ausgezogen? Hat er eine andere? Habe ich doch immer gewusst, dass der Mann nicht koscher ist. In unseren Kreisen kommt so etwas nicht …« Der Rest ging in einem weiteren Hustenanfall unter. – »Wir telefonieren, wenn du wieder gesund bist. Gute Besserung.« Damit legte ich auf. Blieb noch Knut. Aber morgen war auch noch ein Tag.
Tina wohnte am Paulsenplatz in Altona. Ihre Altbauwohnung mit Blick auf einen von alten Bäumen umstandenen Spielplatz lag im vierten Stock. Es gab keinen Fahrstuhl. Womit auch schon erklärt wäre, warum Tina noch nie darüber nachdenken musste, ein Fitnesscenter zu besuchen, um Beine wie Madonna zu bekommen. Mit weltbewegenden Gedanken wie diesem versuchte ich mich von meinem mulmigen Gefühl abzulenken, während ich langsam die elend vielen Stufen erklomm. Zu gern hätte ich gewusst, was auf mich zukam. In meiner Tasche steckte eine Flasche Wein, nur für alle Fälle. Zu Hause hatte ich mir den Kopf darüber zerbrochen, worüber sie wohl mit mir sprechen wollte. Tina hatte am Telefon nicht so geklungen, als wäre sie von plötzlicher Sehnsucht nach ihrer ehemals besten Freundin getrieben, aber vielleicht war ich auch nur überempfindlich.
»Hallo, Lilli, komm rein.« Angespannte Züge, kein Lächeln. Sie schaute mich durch eine große runde Hornbrille an, die ich nicht an ihr kannte, und sah aus wie meine Musiklehrerin aus der dritten Klasse. Sehr streng. Durch den langen Flur ihrer Wohnung ging sie vor zum Wohnzimmer. Wie oft hatte ich hier gesessen und mit ihr ein oder zwei Flaschen Prosecco geleert? Wie oft hatten wir hier gelacht? Der Raum war unverändert. Da waren die beiden im Winkel zueinander stehenden apricotfarbenen Sofas, der flache Tisch mit der Glasplatte und den Zeitschriften darunter, die große Palme in der Ecke, die überquellenden Bücherregale, die Fotos und Gemälde an den Wänden. Aber etwas hatte sich verändert: Ich fühlte mich nicht wohl. »Setz dich doch.« Es hätte mich nicht gewundert, wenn sie mich plötzlich gesiezt hätte, so kalt war ihr Ton. »Was möchtest du trinken?« – »Ich hab Wein mitgebracht.« –
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