Jetzt ist gut, Knut (German Edition)
ihrer Tasse. Endlich sah sie auf. »Ich habe heute mit Knut gefrühstückt. Er wartet immer noch auf deinen Anruf.« – »Möchtest du einen Keks? Da müssen noch irgendwo welche sein.« Ich stand auf und fing an, in einem der Hängeschränke zu wühlen. »Lilli, lass das doch.« Widerwillig setzte ich mich wieder an den Tisch. Seit dem Abend bei Tina hatte ich mit einigem Erfolg versucht, Knut aus meinen Gedanken zu verbannen. »Hast du mit ihm über vorgestern Abend gesprochen?« – »Nein, habe ich nicht. Du hast recht. Das geht nur euch etwas an.« – »Also weiß er nicht, dass ich weiß, dass er wusste …?« – »Von mir jedenfalls nicht. Lilli, ich mach mir wirklich Sorgen um ihn. Er ist so … so traurig.« – »Vielleicht ist was mit Samara. Du weißt schon, sein schwangerer Affe.« Sie warf mir einen Blick zu, mit dem ich mir die Beine hätte rasieren können. »Ist ja gut. Ich rufe ihn an. Versprochen.«
Vorher hatte ich allerdings eine Wohnung zu renovieren. First things first, wie meine Mutter zu sagen pflegte. Zum Streichen war es inzwischen zu dunkel. Gleich Montag würde ich die Tageslichtlampe kaufen. In einer Ecke des fast leeren Wohnzimmers stapelte sich der Inhalt der Truhen und Schränkchen, die eingelagert worden waren. Es half nichts, ich musste den Plunder sichten, obwohl mir davor grauste. Allerdings nicht so sehr wie vor einem Gespräch mit Knut. Also dann mal los. Feng-Shui. Ein geordnetes Umfeld und aufgeräumte Wohnräume wirken sich harmonisierend auf das Unterbewusstsein aus. Entrümpeln schafft nicht nur Ordnung in der Wohnung, sondern auch im Kopf. Das weiß doch jedes Kind, das regelmäßig seine Frauenzeitschriften liest. Dann macht mal, Yin und Yang.
Mangels Sofa holte ich mir ein Kissen aus dem Schlafzimmer, stellte das Radio an und setzte mich auf den Fußboden. Ich würde drei Haufen bilden. »Kann bleiben«, »Muss weg« und »Für Knut«. Ein kleines Holzdöschen mit Intarsien im Deckel, das noch von meiner Großmutter stammte, machte den Anfang. Keine Ahnung, was das in der Schublade mit den Papieren zu suchen gehabt hatte. Omas Kästchen durfte bleiben. Kontoauszüge aus den Jahren 1986 bis 2010 nicht. Warum hatten wir die so lange aufbewahrt? Mindestens eine Stunde lang war ich damit beschäftigt, alte Papiere und Post auszusortieren. Unglaublich, was sich da angesammelt hatte. Plötzlich hielt ich ein Foto in der Hand, das zwischen die Papiere geraten war.
Knut und ich in unserem ersten Schwarzwaldurlaub. Ach Gott, waren wir da noch jung. Mit gelbblond gefärbten Haaren und einer fürchterlichen Dauerwelle sah ich aus wie ein explodierter Kanarienvogel. Knut hatte ein bisschen Ähnlichkeit mit Ron Weasley aus den Harry-Potter-Filmen. Seine Hand lag auf meinem dicken Bauch, und er lächelte glücklich in die Kamera. Wir beide lächelten glücklich. Zwei Monate später war Julia zur Welt gekommen.
Von wegen harmonisches Unterbewusstsein. Ich kann nicht sagen, wann ich wieder aufhörte zu heulen. Scheiß Feng-Shui.
»Knut? Ich bin es.« – »Ja. Ich hab’s an der Nummer gesehen.« – »Hab ich dich aus dem Bett geholt? Du klingst müde.« – »Ich hab noch nicht geschlafen.« – »Dann ist ja gut.« Schweigen an beiden Enden der Leitung. Was für ein vielversprechender Auftakt. Am liebsten hätte ich wieder aufgelegt. Ich wusste ohnehin nicht, was ich sagen sollte. Die Skala der Möglichkeiten reichte von »Danke« (wegen Marie-Anne) über »Leg dich gehackt« (wegen Blondie) und »Wie konntest du nur?« (weil er mir offensichtlich hinterherspioniert hatte) bis zu »Wir sollten miteinander reden« (Julia zuliebe). Rein theoretisch ginge vielleicht auch ein »Verzeih mir« (wegen Nichterwähnens eines gewissen Lottogewinns) oder »Ich vermisse dich« (nur über meine Leiche). »Ich würde gern in Ruhe mit dir sprechen«, sagte Knut. – »Ja.« – »Morgen?« Was du heute kannst besorgen, verschiebe ruhig auf übermorgen. »Lieber nächste Woche. Ginge Mittwochabend?« – »Ja, das geht. Und wo?« – »In der Wohnung. Um sechs. Und komm gefälligst allein.« Diese giftige Bemerkung hatte ich mir einfach nicht verkneifen können. Ehe er noch etwas sagen konnte, unterbrach ich die Verbindung.
»Frau Karg, Sie auch mal wieder in unseren heiligen Hallen? Dass ich das noch erleben darf!« Yvonne Berger lächelte zuckersüß. »Ich höre, Sie haben gesundheitliche Probleme? Doch wohl nichts Chronisches? Ich würde Sie natürlich sehr ungern verlieren.« Ich war
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