Jetzt ist gut, Knut (German Edition)
Mütze, die er trotz der Wärme im Wagen nicht abgesetzt hatte, das Gesicht verzog und versuchte, sich ein Lachen zu verkneifen. Wahrscheinlich wähnte er sich in den eigenen vier Wänden seit neuestem im Paradies. »Wie kommt sie denn an eine Stimmbandentzündung?« Schlagartig verging mir das Lachen. Und wenn das etwas wirklich Schlimmes war? Meine Eltern beorderten ihre beiden Kinder doch nicht wegen einer simplen Entzündung nach Hause. Womöglich steckte Kehlkopfkrebs oder ähnlich Furchtbares dahinter. »Angefangen hat es mit einem Virus. Und dann hat sie ihre Stimme überlastet.« – »Sag’s mir besser gleich, Papa, ist es ernst?« – »Was, die Erkrankung? Nein. Nur langwierig.« Jetzt war ich nicht schlauer als vorher.
Er bog in die lange Auffahrt ein, die zum Anwesen meiner Eltern führte. Ja, Anwesen. Sie hatten vor fünfzehn Jahren einen barocken Gutshof weit außerhalb der Stadt gekauft und liebevoll restauriert. Warm schien Licht durch die vielen Fenster auf den Schnee, der das eindrucksvolle Gebäude umgab. Ein wirklich schönes Bild. Man kann über meine Mutter sagen, was man will – Geschmack hat sie.
Wie die Gräfin von Guldenburg persönlich stand sie jetzt in der imposanten Eingangstür und streckte mir einen Zettel entgegen. In Großbuchstaben stand da: »Es ist nicht komisch!« In der nächsten Sekunde hatte ich ein Taschentuch aus meiner Tasche gefummelt und hielt es mir vors Gesicht, um mein Lachen zu verstecken. »Hallo, Mama, entschuldige, ich glaub, ich kriege einen Schnupfen.«
Sie durfte kein Wort sprechen, nicht einmal flüstern, wenn sie nicht riskieren wollte, dass die Entzündung chronisch wurde. Für eine Frau wie sie musste das die reine Folter sein. Überall im Haus waren Blöcke mit Stiften verteilt, auf die sie Anweisungen, Wünsche oder Fragen schrieb. Ich brachte meine Tasche in eines der Gästezimmer und machte mich ein bisschen frisch. Noch ein Glas Wein, und dann würde ich mich hinlegen. Erst der Arbeitstag, dann die Fahrt – ich war erledigt. Mutter und ich saßen einander auf seidigen gelb-weiß gestreiften Sofas gegenüber. Papa hatte sich schon verabschiedet. Er ging immer früh zu Bett. Es war fast elf Uhr. »Wann kommt denn Richard?« – »Mittags«, schrieb sie. Wie immer war ich von der Atmosphäre des Raumes gefangen. Weiße Bücherregale bedeckten die mehr als drei Meter hohen Wände. Eine Wand wurde von einem englischen Kamin beherrscht, in dem hinter einem hohen Schutzgitter mächtige Scheite brannten. Auf dem Sims standen Fotos von Richard und mir aus Kindertagen. Darüber hing nicht das Porträt eines Ahnen, sondern eines der Seerosenmotive von Claude Monet. Ich hatte mich nie getraut zu fragen, ob es echt war oder nur eine sehr gute Kopie.
Der Rotwein schmeckte hervorragend. Samtig und schwer. Zwei Gläser davon, und ich wäre blau. »Mama, magst du mir sagen, warum wir kommen sollten?« – »Morgen«, schrieb sie. Diese sogenannte Unterhaltung war wirklich etwas mühsam. Ich trank aus und gab ihr einen Kuss auf die Wange. »Ich leg mich hin. Du siehst auch müde aus, Mama.« Sie nickte, blieb aber sitzen und sah mit starrem Blick in die Flammen. In der Ecke des großen Sofas wirkte sie geradezu gebrechlich. Die Wangen eingefallen, das grau-weiß melierte Haar glanzlos. Plötzlich kam sie mir mit ihren achtundsechzig Jahren alt vor. Hoffentlich hatte mein Vater mich nicht angelogen und sie war doch ernsthaft krank.
Richards Landrover rollte vor dem Mittagessen auf den Hof. Mein Bruder, der Hotelier. Generalmanager eines Design- und Architekturhotels in Amsterdam. Mehrmals Hotelier des Jahres. Knapp ein Jahr älter als ich. Gelernter Koch, studierter Betriebswirt. Und selbstredend Mamas Liebling. Papas nicht. Ich glaube, meinem Vater war sein stets energiegeladener Sohn unheimlich. Richard kam auf mich zu. »Lilli, Süße! Schön, dich zu sehen. Du hast die Haare anders, steht dir, und schlank bist du geworden.« Ich liebte meinen Bruder.
Zwanzig Minuten später hörte ich ihn rufen. Ich arrangierte gerade auf Wunsch der stummen Gräfin frische Amaryllis in einer Vase in der Eingangshalle. »Kommst du mal?« Richard stand auf der Galerie, die zu den Schlafzimmern im ersten Stock führte. »Was ist hier los?«, fragte er, sobald ich durch die Tür seines Zimmers kam. »Mutter ist blass wie der Tod, Papa noch wortkarger als sonst, und die Stimmung ist zum Schneiden.« – »Ich habe keine Ahnung. Sie wollen nach dem Mittagessen mit uns reden, mehr
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