Jetzt Plus Minus
geschickt herum, so daß sie die anderen nicht sehen können, und zwickt sie ordentlich ins Gesäß. »Ach, wenn ich nur fünfzig Jahre jünger wäre!« seufzt er.
Es ist ein warmer, frühlingshafter Tag. Alles war wunderbar im Büro – drei neue Aufträge auf einmal –, und die Fahrt über die Autobahn ging wie im Flug. Alice erwartet ihn, in ihrem hübschesten und aufreizendsten Kleid, fertig zum Ausgehen. Es ist ein besonderer Tag. Ihr elfter Hochzeitstag. Wie schön sie aussieht! Er küßt sie, sie küßt ihn, er zieht mit einer großen Geste die Fahrkarten aus der Tasche. »Eine Überraschung«, sagt er. »Zwei Wochen auf Hawaii, ab nächsten Dienstag! Alles Gute zum elften Hochzeitstag!«
»Oh, Ted!« ruft sie. »Wie herrlich! Ich liebe dich, Ted, mein Liebster!« Er preßt sie wieder an sich. »Ich liebe dich, Alice, mein Engel!«
Einer mehr in der Herde
Ich schiebe… und der Schuh bewegt sich. Sehen Sie mal! Er bewegt sich wirklich! Alles, was ich zu tun brauche, ist ein stummer, innerer Anstoß, keine Hände, einfach aus dem Kern meines Geistes hinausgreifen, und mein alter, schiefgelaufener brauner Schuh, der linke, rutscht langsam über den Boden meines Schlafzimmers. Vorbei am Stuhl, vorbei am Stapel zerlesener Schulbücher – Geometrie, Spanisch im 2. Jahr, Bürgerkunde, Biologie, etc. –, vorbei am verschwitzten Bündel hingeworfener Kleidung. Der Schuh gehorcht mir wahrhaftig. Ein leises Wischen, als er über die unebenen alten Linoleumfliesen gleitet. Man sehe, wie er sanft an die gegenüberliegende Wand stößt, sich auf die Kante stellt und zum Stillstand kommt. Seine Reise ist beendet. Ich wette, ich könnte ihn an der Wand hochklettern lassen. Aber mach dir die Mühe jetzt nicht, Mann. Nicht jetzt gleich. Das ist harte Arbeit. Erhol dich, Harry. Deine Arme zittern. Du schwitzt am ganzen Körper. Mach es dir eine Weile bequem. Du brauchst nicht alles auf einmal zu beweisen.
Was habe ich überhaupt bewiesen?
Es hat den Anschein, daß ich mit dem Denken Gegenstände in Bewegung versetzen kann. Wie ist es damit, Mann? Hast du dir je vorgestellt, daß du über ausgefallene Kräfte verfügst? Nicht bis eben zu diesem Abend. Diesem lausigen Abend. Als du mit Cindy Klein dagestanden und den schrecklichen Knoten pulsierender Spannung in den Lenden gespürt hast, so, als müßtest du dein Wasser abschlagen, aber fünfzigmal schlimmer, eine Zone der Qual, die irgendeine Art unheimlicher Energie ausstrahlte, wie ein irrer Dynamo in meinem Körper. Und plötzlich, ohne bewußte Wahrnehmung, findest du einen Weg, diese Energie anzuzapfen, sie durch den Körper hochzuziehen in den Kopf, zu verstärken und… zu gebrauchen. Wie eben bei dem Schuh. Wie ein paar Stunden vorher mit Gindy. Du bist also nicht bloß ein dummer, ungeschickter Halbwüchsiger, Harry Blaufeld. Du bist etwas ganz Besonderes.
Du hast Macht. Du bist potent.
Wie gut das ist, allein in meinem muffigen Schlafzimmer zu liegen und den Schuh über den Boden rutschen lassen zu können, einfach, indem ich ihn auf diese besondere Weise ansehe. Das Gefühl der Stärke, das ich daraus ziehe! Ungeheuer. Ich bin potent. Ich habe Macht. Das bedeutet ›potent sein‹, Macht zu haben, aus dem lateinischen potentia, abgeleitet aus posse. Können. Fähig sein. Ich bin fähig. Ich kann diese ganz außerordentliche Leistung vollbringen. Und nicht nur in kurzen, unvorhersehbaren Stößen. Ich habe das unter bewußter Kontrolle. Alles, was ich zu tun habe, ist, in dieses Spannungsreservoir zu greifen und ein paar Schuh abzuschöpfen. Enorm! Was für ein seltsamer Abend das ist.
Gehen wir drei Stunden zurück. Zu einer Zeit, als ich von dieser potentia noch nichts wußte. Vor drei Stunden war ich nichts als geil. Ich stehe um halb elf mit Cindy vor ihrer Tür. Wir sind ins Kino gegangen, wir haben einen Capuccino hinterher getrunken, und jetzt will ich bei ihr zum Ziel kommen. Ich will ins Haus gebeten werden, weil ich weiß, daß ihre Eltern übers Wochenende heimgefahren sind und keiner da ist außer ihrem großen Bruder, der heute nacht bei seiner Freundin in Scarsdal ist und noch Stunden wegbleibt, und wenn ich erst einmal durch die Tür bin, hoffe ich, daß ich, na, hineingebeten werde. Was für eine gezierte Metapher! Sie wissen, was ich meine. Ein dreifaches Hoch also auf Casanova Blaufeld, der an starker jungfräulicher Entflammung leidet. Seht mich an, wie ich stammle, nach Worten suche, von einem Bein auf das andere trete, an den Lippen
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