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Jetzt Plus Minus

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Titel: Jetzt Plus Minus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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Zahnpastatube ab. Ich drehe den Wasserhahn auf und zu. Ich öffne und schließe das Fenster. Wie genau ich das steuern kann! Diese Dinge zu tun, erfordert große Anstrengung: Ich zittere, ich schwitze, ich spüre, wie meine Kiefermuskeln sich verkrampfen, wie meine Backenzähne schmerzen. Aber ich kann dem Kitzel, meine Fähigkeiten auszuprobieren, nicht widerstehen. Ich spiele riskante Streiche. Beim Frühstück steckt meine Mutter vier Scheiben Brot in den Toaster; ich sitze mit dem Rücken dazu und ziehe ganz vorsichtig den Stecker aus der Dose, und als sie fünf Minuten später nachsieht, stellt sie verwirrt fest, daß das Brot noch ungetoastet ist. »Wie ist der Stecker herausgerutscht?« fragt sie, aber natürlich sagt ihr das keiner. Danach, als wir alle herumsitzen und die Sonntagszeitungen lesen, schalte ich aus der Ferne das TV-Gerät ein, und das plötzliche Geplärr eines Zeichentrickfilms läßt alle zusammenzucken. Und ein paar Stunden später schraube ich in der Diele eine Glühbirne heraus, ganz langsam, lasse sie einen Augenblick in der Luft schweben und dann auf dem Boden zerplatzen. »Was war das?« sagt meine Mutter erschrocken. Mein Vater sieht nach. »Eine Birne ist aus der Lampe gefallen und geplatzt.« Meine Mutter schüttelt den Kopf. »Wie kann eine Birne herausfallen? Das gibt es doch nicht.« Und mein Vater sagt: »Sie muß locker gewesen sein.« Überzeugt klingt es nicht. Es muß ihm eingefallen sein, daß eine Birne, die so locker war, daß sie herausfallen konnte, nicht gebrannt haben kann. Und die Birne hatte gebrannt.
    Wie lange kann es dauern, bis meine Schwester diese Vorfälle mit der Episode der sich selbst spülenden Toilette in Zusammenhang bringt?
    Der Montag ist da. Ich betrete das Klassenzimmer durch die Hintertür und schleiche mich zu meinem Platz. Cindy ist noch nicht da. Aber da kommt sie. Mein Gott, wie schön sie ist! Das glänzende, schimmernde rote Haar, bis auf die Schultern fallend. Die helle, makellose Haut. Die funkelnden, geheimnisvollen Augen. Der rote Pulli, der vom Samstag. Meine Hände haben diesen Pullover berührt. Ich habe den Pullover auch mit meiner Macht berührt.
    Ich beuge mich über mein Heft. Ich kann es nicht ertragen, sie anzusehen. Ich bin ein Feigling.
    Aber ich zwinge mich, aufzusehen. Sie steht vorne im Mittelgang und starrt mich an. Ihr Ausdruck ist merkwürdig – nervös, unsicher, die Lippen hat sie zusammengepreßt. So, als wolle sie zu mir kommen und mit mir reden, zögere aber. Als sie bemerkt, daß ich sie ansehe, blickt sie zur Seite und setzt sich. Die ganze Stunde sitze ich vorgebeugt, mit hochgezogenen Schultern, betrachte ihren Rücken, ihren Nacken, ihre Ohren. Fünf Pulte trennen mich von ihr. Ich stoße einen schweren, romantischen Seufzer aus. Die Versuchung kitzelt mich. Es wäre so einfach, über diese Entfernung hinwegzugreifen und sie zu berühren. Ihre weiche Wange mit einer unsichtbaren Fingerspitze zu streicheln. Ihren Hals zu liebkosen. Meine besondere Kraft dazu zu benützen, ihr zärtlich Hallo zu sagen. Siehst du, Cindy? Siehst du, was ich tun kann, um meine Liebe zu zeigen? Nachdem ich es mir vorgestellt habe, bringe ich es nicht mehr fertig, mich zurückzuhalten. Ich hole die Kraft aus dem brodelnden Reservoir in meinem Inneren herauf; ich pumpe sie hoch und stelle gleichzeitig die automatischen Berechnungen für die Stärke des Schubs an. Dann begreife ich, was ich tue. Bist du verrückt, Mann? Sie wird schreien. Sie wird hochspringen, wie von der Tarantel gestochen. Sie wird sich auf dem Boden wälzen und in Hysterie verfallen. Halt, halt, du Verrückter! Im letzten Augenblick gelingt es mir, den Impuls abzulenken. Keuchend und ächzend biege ich die Kraft von Cindy fort und schleudere sie blindlings in eine andere Richtung. Mein wahllos geführter Stoß fegt durch das Zimmer wie eine Peitschenschnur und trifft das große, gerahmte Schaubild der Pflanzen- und Tierreiche an der linken Wand des Klassenzimmers. Es wird losgerissen, wie von einem Orkan erfaßt, und fliegt sieben Meter weit im hohen Bogen an die Tafel. Der Rahmen splittert. Überall fliegen Glassplitter umher. Die Klasse gerät in Panik. Alles schreit, rennt durcheinander, hebt Glassplitter auf, reißt die Augen auf, stellt Fragen. Ich sitze da wie eine Statue. Dann fange ich an zu frösteln. Und Cindy dreht sich ganz langsam um und sieht mich an. Ein Ausdruck des Entsetzens läßt ihr Gesicht erstarren.
    Sie weiß es also. Sie hält mich für eine

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