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Jetzt tanzen alle Puppen - Aus dem Alltag einer Comedy-Fachfrau

Jetzt tanzen alle Puppen - Aus dem Alltag einer Comedy-Fachfrau

Titel: Jetzt tanzen alle Puppen - Aus dem Alltag einer Comedy-Fachfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Volk
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glitschen Autos um-und ineinander. Oft müssen die Mitfahrer aussteigen, um den Wagen in eine Parklücke zu schubsen. Kaum schubsen sie, geben die Fahrer Bleifuß, die Reifen drehen durch, eine Schlammfontäne entsteh t – und schon sehen die Schubser aus wie die sprechenden Felsen aus der »Unendlichen Geschichte«. Der Schlammparkplatz ist die alljährliche Wackener Ouvertüre.
    Wir Duisburger sind Wacken-erprobt, wir tragen Gummistiefel und fahren LKWs aus Bundeswehrbeständen. Drei als fahrbarer Untersatz, einen für den Stromgenerator, die transportable Dusche, das eigene Dixie-Klo. Mehrere Schlaf-und ein Aufenthaltszelt mit farblich passenden Tischen und Bierbänken, zwei Kühlschränke, diverse Grills, Zäune, Stacheldraht, 5 0 Kilo Lebensmittel, Schnaps, 30 0 Dosen »Aldis Rache« (Bier und Serbische Bohnensuppe), Knallfrösche und schließlich das unverzichtbare Herzstück des Duisburger Kern-Asi-Lagers. Das wir unbedingt auf einem Rockfestival brauchen, wo von morgens bis morgens Bands spielen: Ansgars 10.000-Watt-Anlage. Die wird direkt an den PC auf dem Beifahrersitz von Ansgars Bundeswehr-LKW angeschlossen. Und schon können wir 80.00 0 mp3-Titel genießen. Wi r – und ganz Niedersachsen, denn dank des Generators haben wir unbegrenzt Energie für die 500-Watt-Boxen, die nicht fehlen dürfen.
    Nun gilt es, das Lager zu errichten und gegen Eindringlinge und fremde Heerscharen zu verteidigen. Die Männer buddeln Gräben und ein Loch für den Stromgenerator, ziehen Zäune, verzieren sie mit Stacheldraht und montieren schwarzlackierte Gartenzwerge. Wir Frauen bauen Zeltstadt und Grill auf, verteilen Schnaps gegen Kälte und Rheuma und trinken uns schon mal warm. Wacken ist, was Schlamm und Geschlechterrollen angeht, sehr archaisch. Dieses Jahr hatte mein Bruder Henning eine Sondermission und verminte das Gelände um unser eigenes Dixie-Klo mit Knallfröschen. Anschließend verteilte er handgemalte Skizzen, wie man zum Dixie gelangen konnte, ohne dass einem die Welt um die Ohren flog. Dabei raunte er »Top secret« und verlangte, dass wir uns die Zeichnung einprägen und anschließend den Zettel aufessen. Ich entgegnete ihm, dass ich keine Leckereien von sprechenden Felsen annehme. Schon gar nicht, wenn sie vorher mit dem Dixie-Klo gespielt haben. Manchmal ist mein Bruder komisch.
    Meine Schwester Ellen, Hennings Freundin Ivy und ich beschlossen, die Jungs alleine spielen zu lassen, und marschierten Richtung Bühne. Der Weg war leicht zu finde n – wir glitschten einfach einer Armada sprechender Felsen hinterher. »Es riecht nach Wacken«, seufzte Elli glücklich. Das stimmte. Dieser Geruchseintopf aus Urin, Schlamm, Zuckerwatte, Heu, Fressbuden und Kotz e – unverwechselbar. »Und was hast du so vor?«, fragte mich Ivy, die Lebensgefährtin meines Dixie-Klo-verminenden Bruders, gutgelaunt und haxenstramm. »Ich? Och«, antwortete ich, »mal sehen.« In diesem Moment sah ic h – ihn. Auf der Bühne beim Solo: das Gesicht ekstatisch verzogen, die schwarze Lederjacke von den schmalen Schultern gerutscht, die langen Haare peitschten die Luf t – mein Star! Mir doch egal, dass über der Bühne ›Luftgitarren-Contest‹ stand. Und dass mein Zukünftiger nur eine aufblasbare Gummi-Gitarre schwenkte. Ich eröffnete die Partie mit einem Klassiker: »Hey, das war toll. Wie heißt du?« »Kotzi«, antwortete Kotzi, schüttelte seine Haare und ließ Bröckchen fliegen. Ich beschloss, nicht über Kotzis Bröckchen nachzudenken, und schob den leichten Widerwillen auf meine bürgerliche Erziehung.
    Ein Weilchen amüsierten wir uns zu viert auf dem Festivalgelände, was gar nicht so leicht war, da erst eine Cure-Cover-Band spielte und anschließend Placebo. Das Publikum lag sich haltlos weinend in den Armen. Kotzi sprach derweil fleißig unserer Tetrapack-eingeschmuggelten, 85-prozentigen Wodkamischung zu und bekam Schlagseite. Zeit, ihn in mein Zelt zu zerren. »Komm«, sagte ich, »ich stell dir meine Leute vor, die sind voll nett.« Mit der Linken verwedelte ich den leichten Schwefelgeruch, den ich plötzlich verströmte. In der fallenden Dunkelheit begann es erneut zu regnen, um uns versanken Zelte, Landschaft und sprechende Felsen im Schlick. Kotzi, Ivy, Elli und ich fanden trotzdem problemlos unser Lager. Nur wenige Leute hören auf einem Rockerfestival etwa 100 0 Watt laut »Barfuß oder Lackschuh« gefolgt von »Heut ist so ein schöner Tag«. Wir folgten einfach den hasserfüllten Flüchen.
    Ich gab Kotzi

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