Jetzt tanzen alle Puppen - Aus dem Alltag einer Comedy-Fachfrau
Überweisung lasse ich mich von Aktion Mensch abholen und zur Kernspin-Praxis fahren. Zum Zysten-Veröden. Mein neues Leben XXL zum Laufen nah. Die Sprechstundenhilfen winken müde ab. »Zysten veröden? Machen wir nicht, das machen nur niedergelassene Orthopäden. Rufen Sie doch Dr . Wolfgarten mal an. Der hat eine Kernspin und der macht sowas.« Rufe Dr . Wolfgarten an. Unterhalte mich 2 0 Minuten mit seiner Warteschleife. »Haben Sie eine Überweisung?«, fragt mich endlich die freundliche Stimme am Telefon. »Ja, ja, mehrere«, antworte ich fröhlich, »zwei: eine fürs Krankenhaus und eine zur Kernspin.« »Wir brauchen eine zum Orthopäden«, sagt die Stimme, »Frau Dr . Werger stellt Ihnen bestimmt gern eine aus«. Frau Dr . Werger weigert sich strikt. »Ich bin doch selber Orthopädin. Von Orthopäde zu Orthopäd e – das geht nicht«, ranzt sie mich an. »Geht wohl«, ranze ich zurück. Mittlerweile hab ich mir Fachwissen zu Überweisungen angegoogelt. »Weil Sie kein Kernspin haben! Ich brauche aber einen Orthopäden mit Kernspin, damit die blöde Zyste verödet wird!« Vor dem Fenster seh ich Blätter von den Bäumen fallen, bald ist es wieder Winter. »Bringen Sie mir eine Stellungnahme von Dr . Wolfgarten«, sagt Frau Dr . Werger, »dann sehen wir weiter«. Hinter ihr klappt die Tür. Ich fahr zu Wolfgarten wegen der Stellungnahme. Wolfgarten lehnt ab: ohne Überweisung macht er keinen Finger krumm. Ich füge mich und zahle einfach nochmal zehn Euro, was soll’s.
Dr . Wolfgarten, der Zysten-Veröder, Konzentrat meiner Hoffnungen, schabt sein Kinn, zupft an meinen Beinen und spricht. »Wissen Sie eigentlich, dass Ihr rechtes Bein einen Zentimeter länger ist? Ich verschreibe Ihnen Einlagen.« Ich winde mich aufs unwürdigste vor seinen exakt gleichlangen Beinen. »Bitte Herr Dr . Wolfgarten, euer Durchlaucht, können Sie bitte erst die Zyste veröden, dann nehme ich auch die Einlagen.« »Niemals«, sagt Dr . Wolfgarten, »ich handele nicht gegen meine Überzeugung. Aber ich schreibe Ihnen eine Überweisung zurück zum Krankenhaus, die können das doch selber machen.«
Aus meiner neuen Erdgeschoss-Wohnung rufe ich Schwester Evi an. »Ich habe zwei Überweisungen fürs Krankenhaus, Dr . Wolfgarten sagt, Sie möchten die Zyste selber veröden.« »Da haben wir doch gar nicht die Geräte für«, sagt Schwester Evi, »und außerdem überweisen wir ambulante Fälle an niedergelassene Ärzte. Wenn wir das machen sollen, müssen Sie drei Tage hier übernachten, tags können Sie ruhig nach Hause gehen.« »Gut«, sage ich. »Geht klar, drei Übernachtungen für Ihre Kasse.« »Ja«, sagt Schwester Evi, »nur wie gesagt, das wär e – wenn wir die Geräte hätten! Da wir die Geräte aber nicht haben, muss ich Sie ohnehin an einen niedergelassenen Arzt überweisen. »Gut«, flüstere ich heiser, »gut. Schwester Evi, dann sagen Sie mir bitte, welcher niedergelassene Arzt das macht. Ich zahl gerne nochmal zehn Euro.« »Da frag ich mal Dr . Düsing«, sagt Schwester Evi und überlässt mich einer Warteschleife aus den 50er Jahren, als Menschen nur mit den Auswirkungen des Zweiten Weltkriegs zu kämpfen hatten und nicht mit denen der Gesundheitsreform. »Frau Volk?« »Schwester Evi?« »Dr . Düsing sagt, er weiß auch nicht, wer das macht.« »Gut«, sage ich gefasst. »Wer weiß es dann?« »Hmm. Weiß nicht. Vielleicht gucken Sie einfach mal ins Internet?«
Epilog: Schluss mit dem Verständnis. Bin zum nächsten Krankenhaus. Mit einem bunten Strauß Überweisungen. Krankenhaus darf nix Ambulantes machen. Haben unter der Hand Deal vereinbart. Muss zum Schein stationär aufgenommen werden. Darf abe r – wie es der Arzt ausdrückt e – ruhig nach dem Eingriff einen sehr, sehr, sehr langen Spaziergang machen. So 2 3 Stunden lang. Damit es sich fürs Krankenhaus lohnt, machen die sämtliche Voruntersuchungen noch mal. Meine Bein e – sagt e r – sind übrigens exakt gleich lang. Gesundheitsreform ist toll. Bin schon gespannt auf die nächste.
Köln, endloser Januar, Wetter: grau-braun
Kann es denn sein, dass ein sympathischer, humorvoller Mensch wie ich eine Laune zum Weglaufen hat? Wenn es könnte, wie es wollte, wär mein Spiegelbild heute Morgen abgehauen. Allein, wie ich aussehe. Blass, und unter den Augen: Horst-Tappert-Tränensäcke, Tränenkoffer! Vorhin Fernsehen geguckt und fast ins Essen gebrochen. Eine dieser Quotenfrauen-Sendungen. Weibliche Unterhaltungs-Mogule, die sich gegenseitig über den
Weitere Kostenlose Bücher