Jetzt tanzen alle Puppen - Aus dem Alltag einer Comedy-Fachfrau
weiter. Onkel Paul hatte sich stets rücksichtsvoll gezeigt. So nennt man das also, wenn jemand nachts um vier wahlweise Jimi Hendrix nacheifert, besoffen den Mond anheult oder mit dem Gaspedal seines Cadillacs spielt. Um mein Missfallen kundzutun, verteilte ich Kopien einer im Internet gefundenen Streitschrift: »Kirchenfunktionäre: Gezielte Lüge gehört zum Handwerkszeug«. Aber wie so oft wollten sich die dummen Massen, also die anderen Trauergäste, partout nicht aufklären lassen, nein, da wird man als Ketzer beschimpft und vor die Holztür gejagt. Also vertrieb ich mir die Zeit damit, von außen Thesen an die Kirchentür zu schlagen. Naja, oder zu kleben, ich hatte die Zettel ja nun mal bei, und wie es der Zufall will, auch ein Eimerchen Leim. »Ist der Öko-Papp-Sarg wirklich pietätlos?« Ich klebte mehrfach. Ich klebte die ganze Tür voll und noch ein paar Bäume dazu. Bisschen von dem Kleber ging auch daneben.
Das gab ein Hallo, als der Trauerzug mit Onkel Paul und den andern endlich aus der Kapelle kam und die Sargträger in den Leimlachen ausglitschten. Ich versteckte mich hinter einer Luther-Statue und trabte Onkel Paul und den andern erst zur Grabstelle hinterher, als alle Hassprediger genug gehasspredigt hatten. Als Aufklärer hat man’s schwer und wird oft missverstanden.
Am Grab gab es Tränen, sogar Dirks Mutter weinte. Ich beschloss, die Stimmung ein wenig aufzuheitern, drängte mich neben Dirk und warf in Ermangelung von Rosen eine Flasche Bier und Dirks Hosenknopf in Onkel Pauls letzte Ruhestätte. Den Knopf hatte eh nur noch guter Wille und ein hauchfeiner Faden gehalten. Trotzdem stellte sich Dirk furchtbar an. Gott sei Dank musste er seine Hose festhalten, sonst hätte er mich erwürgt. Der Pfarrer redete wieder über irgendeinen Paul. Vielleicht war das gar nicht Onkel Pauls Beerdigung? Ich outete mich als Experte und zitierte freihändig aus dem Artikel »Leichendiebstahl, ein Menetekel«. Im Anschluss menetekelte ich über Urnen und Aschenbecher, ermunterte die Trauergemeinschaft, anwesende Würmer zu klassifizieren, und hinderte Dirks Mutter daran, mich ins offene Grab zu schubsen. Der Leichenschmaus im angrenzenden Restaurant war eher langweilig. Alle wirkten mittlerweile ein bisschen apathisch. Zumindest versuchte keiner mehr, mich loszuwerden. Ich gratulierte mir selbst: Die Aufklärung hatte ihren Platz in der Mitte überkommener Rituale erstritten.
Dirk fand es geschmacklos, dass ich beim Essen gekonnt an Onkel Pauls Blähungen-Olympiade erinnerte. Einigen Gästen vergehe angeblich der Appetit. Eine wunderbare Vorlage, um die Vorzüge meines verschmähten ÖkoSargs zu verdeutlichen. Ich nahm eins von den verschmähten Hühnerbeinen, wickelte es in mehrere Lagen graues Kratzeklopapier und verbrannte alles im Aschenbecher, um den umweltfreundlichen Zerfall von Öko-Sarg nebst Inhalt zu demonstrieren. Leider verlief das Experiment nicht ganz so rückstandsfrei wie gewünscht. Als sich der Qualm verzogen hatte, waren auch die Trauergäste verschwunden, nur Dirk, seine Mutter und der Pfarrer stierten seltsam phlegmatisch auf ihre Teller. Ich nutzte den Moment, um ihnen Wodka in die Wassergläser zu kippen. Das entspannte die Lage deutlich. Wenig später bastelten wir endlich meinen Öko-Papp-Sarg zusammen. Irgendwie mussten wir ja das schöne Essen abtransportieren, das übrig geblieben war. Zu viert schulterten wir die Peace-Box mit den Leckereien und zogen Trinkerlieder singend zu Onkel Pauls Lieblingslokal. Ich muss zugeben, dass ich im Rahmen der Feier einige Vorurteile gegen die Kirche revidiert hab, der Pfarrer erwies sich als sehr nett und zugänglich. Bisschen sehr zugänglich. Mit Dirk hab ich mich auch wieder vertragen. Der meinte, ich wäre wie eine Naturkatastrophe, die müsste man auch einfach aushalten. Aber ich weiß, er meint es nicht so.
Köln, Ende Januar, kurz vor Karneval
Weiowe i – bald kommt wieder die närrische Zeit. Alle sind nudeldicke blau und auf der Straße kannst du dich nur hüpfend von Lache zu Lache bewegen. Die alte Feindschaft Düsseldorf–Köln blüht wieder auf, erst wird gefeiert, dann gibt’s eine Straßenschlacht, dann wird wieder gefeiert. Die Stimmung ist latent aggressiv wie bei rivalisierenden Affen in der Brunft, die Weibchen zeigen ihren roten Po, die Männchen tragen eine rote Nase und ich hab eigentlich rund um die Uhr selbstverordnetes Köln-Verbot. Hatte grandiose Idee, mit doofem Karnevals-Schlager meinen Kontostand
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