Jetzt tanzen alle Puppen - Aus dem Alltag einer Comedy-Fachfrau
wirklich nahe. Ich beschloss, Dirk zur Seite zu stehen. Obschon er meinte, das wäre auf keinen Fall nötig und ich solle bloß bleiben, wo ich bin, und die Füße still halten. Dirk meint es nicht so.
Ich ging die Sache mit dem Zur-Seite-Stehen pragmatisch an. Ein Sarg musste her und der sollte auch nicht gleich die ganze Erbschaft kosten, obschon Dirks Mutter dezent angedeutet hatte, der »alte Bock Paul hat eh alles mit Schnaps und Nutten durchgebracht«. Aber bestimmt meint es Dirks Mutter auch nicht so. Ich durchforstete das Internet nach Sargmodellen. Neben Sargangeboten wimmelte es dort von hochinteressanten Artikeln wi e … wie von Würmern im Grab, möchte man sagen. Erbauliches: »Von der Totenwürde unter Wasser und den Gebeinen der Baggergreifer«, aber auch Artikel enttäuschter Verbraucher: »Die Knochen meiner Mutter lagen offen rum!« »Frechheit«, möchte man da sagen und »Geld zurück«! Eine Stunde späte r – mehrfach hatte ich Dirks Telefonate, mich »doch um Gotteswillen rauszuhalten, er würde mir auch Geld geben«, abgewimmel t – stieß ich auf das Sarg-Modell meiner Wahl. Den »Ökosarg«. Der würde ein wenig Onkel Pauls Leidenschaft für 20-Liter-Amischlitten wieder ausbügeln, ein Punkt auf der kosmischen Bilanz. Onkel Paul im Ökosarg. Wenn er könnte, würde er mich umbringen, aber er kann ja nicht mehr. Ich recherchierte sorgfältig: Die sogenannte »Peace-Box« aus 6 0 Prozent chlorfrei recyceltem Altpapier zerfällt beinah so fix wie graues Kratzeklopapier. Im Endeffekt war’s ja auch dasselbe. Onkel Paul hatte eine Vorliebe gehabt für sechslagiges, supergebleichtes Klopapier mit eingestanzten nackten Frauen, aber er sollte ja nicht aufs Klo gehen, sondern nur beerdigt werden. Ich bestellte also die Peace-Box auf Dirks Namen und Rechnung und rief ihn an, um ihm ein wenig von dem umweltfreundlichen Papp-Sarg vorzuschwärmen. Dirk war sehr unhöflich und beschimpfte mich mit Fäkal-Injurien. Ich führte Dirks Anal-Assoziationen auf meinen Vergleich mit grauem Kratzeklopapier zurück und übertönte seine verbalen Entgleisungen, indem ich die beigefügte Bastelanleitung der »Peace-Box« in den Telefonhörer brüllte: » … Ermöglicht selbst ungeübten Heimwerkern den problemlosen Aufbau des praktischen Pappsarges in nur wenigen Minuten. Werkzeug ist nicht erforderlich!«
Dirk brüllte durch den Hörer, ich solle endlich zur Hölle fahren, worauf ich fröhlich konterte, da sei kein Platz mehr wegen Onkel Paul und seinen Schnapshuren.
Die Beisetzung fand nur wenige Tage später statt. Nur im »allerengsten Kreis«, hatte Dirk mehrfach gesagt. Gut, dachte ich, da muss ich mir nicht so viele Gesichter merken. Ich zog mein kleines Schwarzes an, also den Lack-Minirock, und stöckelte zur Kapelle, in der Onkel Paul aufgebahrt lag.
Wieder mal hatte ich es Dirk nicht recht machen können. »Was willst du hier, ich hab doch gesagt, bleib weg«, zeterte Dirk zur Begrüßung, »und wieso trägst du einen Lack-Minirock? Kommst du vom Straßenstrich?« »Mein Lackrock ist klein und schwarz wie Onkel Pauls Seele«, antwortete ich damenhaft, »also reg dich nicht auf, kleiner Mann im Konfirmationsanzug mit Hochwasser.« Ich betrachtete Onkel Paul, der aussah wie immer, wenn er seinen Rausch ausschlief, also totenstarr und mit offenem Mund, nur der Sabberfaden fehlte. Zum Abschied küssen wollte ich den nicht, ein Händedruck sollte hier reichen. Ich tätschelte über Onkel Pauls weiße Finger mit den Gitarristen-Fingernägeln, die an einen chinesischen Kaiser gemahnten, lang, gelb und gerollt. »Und außerdem«, fragte ich Dirk, »wer hat Onkel Paul geschminkt? Er sieht ja aus wie eine Transe.« In diesem Moment fiel mein Blick auf Onkel Pauls Sarg. Eine doofe 08/15-Sperrholz-Kiste. Unverschämtheit. »Und wo ist mein Papp-Sarg? Da will man einmal helfe n …« Als ich im schönsten Rumrandalieren begriffen war, betrat der Pfarrer die Kanzel, und wir setzten uns auf die unbequemen Holzbänke. Da sorgt die Kirche schon für, dass einem gleich alle Sünden einfallen. Ich setzte mich weiter weg von Dirk, weil er mir immer noch den Hals umdrehen wollte. Der Pfarrer hob an zu sprechen und hielt eine Rede über einen völlig Unbekannten. Denn wenn Onkel Paul jemals führendes Mitglied einer Gemeinde gewesen war, dann höchstens der Hells Angels. Die Zeit tropfte dahin und ich sah den Nasenhaaren vom Pfarrer beim Wachsen zu. Vielleicht wollten sie hoch hinaus, also zur Glatze.
Der Pfarrer log
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