Jetzt tanzen alle Puppen - Aus dem Alltag einer Comedy-Fachfrau
anders sei n – lese von deutscher Kinderarmut, Elterngeld und Vaterurlaub. Suche ich das Kinderthema oder sucht das Kinderthema mich? Entwickele eine schlüssige Verschwörungstheorie, in der die ehemalige Familienministerin Ursula von der Leyen als Produzentin von Anti-Abtreibungshymnen fungiert und der Happy-Birthday-Rapper sich als dunkelgeschminkter Guido Westerwelle entpuppt. Seit die Propaganda-Maschinerie ›Deutsch e – setzt mehr Kinder in die Wel t – Rente und Aufklärung sind in Gefahr‹ läuft, sehe ich immer mehr Intellektuelle über 40 im späten Mutterglück. Da aber leider die Menschen ohne Aufklärung und Intellekt proportional am meisten Kinder in die Welt setzen, sage ich den intellektuellen Oberschichtsblagen jetzt schon eine schwere Kindheit voraus. Da mach ich nicht mit.
Fliehe aus dem Haus, meinem schwulen Lieblingsgoldschmied Jürgen einen Besuch abzustatten, um mein Herz an seinem Schmiedefeuer zu wärmen. Sehe unterwegs Junge mit MP3-Player-Knopf im Ohr neben Frau mit Handy-Ohranstecker einen älteren Mann mit Hörgerät überholen. Frage mich, ob die Regierung via Satellitenfunk Zugriff auf alle Ohrempfänger weißhäutiger Europäer besitzt und ob alle Ohrknöpfler, ohne es zu wissen, derselben Botschaft lauschen: »Vermehrt euch, vermehrt euch!« Und ob ich entweder die Reinkarnation von Stanislaw Lem bin oder paranoid. Oder beides. Vor meinem Supermarkt der nächste visuelle Affront des Weltgeists: Linkerhand bieten zwei albern gekleidete Promoterinnen Exemplare einer neuen Lifestyle-Zeitschrift feil: »My Style«. Auf dem Titelblatt prangt Ursula von der Leyen. Rechterhand verkauft ein Obdachloser Exemplare seiner Zeitung »Die Bank«. Auf dem Titel: eine Bank. Ausstattung links: Knallbunter Hochglanz und Aufdringlichkeit. Ausstattung rechts: Dreckige Fingernägel und Rottweiler-Mischling. Zwischen links und rechts wandern verstohlene Blicke misstrauisch hin und her. Sehne mich nach einem Abgesandten der Zeugen Jehovas, der sich dazwischen stellt und den »Wachturm« anpreist. Nur so, um das Bild zu vervollständigen.
Endlich in Jürgens Laden angekommen. Jürgen ist Goldschmied und schwul, der Weltgeist mit seinem heutigen Lieblingsthema Kinder und Armut hat hier keinen Zutritt. Denke ich. Da öffnet sich die Tür und eine ältere Dame marschiert ein. Im Profil gemahnt sie merkwürdig an Gundel Gaukeley. Jürgen reicht ihr ein Collier, das ihre juwelenbesetzten Hände aufs Dekolleté pressen. Nägel, deren blutroter Lack absplittert, krallen sich in eine Komposition aus Gold, Korallenschaum und Lederhaut. »Das hat doch Stil und Niveau, oder?«, fragt sie und erinnert mich damit an den haxenstrammen Vorwurf, mit dem mein Tag begann. Während sie auf meine Antwort wartet, bewegt sie unablässig die Lippen. »Ich hab noch keinen zu faltigen Hals für das Collier, oder?«, hakt sie nach. Ich lüge mir eine Antwort zurecht, die sie mit Schmatzen, Sabbern und Lufteinziehen goutiert. »Sie hat sich die Lippen aufspritzen lassen«, raunt mir Jürgen zu, »jetzt schließen die nicht mehr so richtig.« Ach so. Ich betrachte das aufgespritzte Gundel-Gaukeley-Profil genauer und je länger ich die reiche Lady anschaue, umso mehr ähnelt sie einer Kreuzung aus Ursula von der Leyen und dem Rottweiler des Obdachlosen und ich weiß nicht mehr, was schlimmer ist. Und in diesem verletzlichen Moment geht vor dem Schaufenster ein einsamer Mischlingsköter vorbei und guckt mich intensiv an, sein eines Auge ist tiefbraun, das andere knallblau und doch gehören sie in ein Gesicht. Und hinter mir sabbert und schlürft es goldbestäubt und gegenüber verkauft der Obdachlose »Die Bank« und im Radio läuft natürlich »Happy Birthday« und diesen Moment nutzt mein Ex-Freund, um anzurufen und das Verb »lieben« durchzukonjugieren: »Ich liebe dich, ich habe dich immer geliebt und ich werde dich immer lieben.«
Dies sind die Momente, in denen ich mir vorkomme wie Alice im Wunderland mit der Grinse-Katze. Und der koordinierende Weltgeist ist das Grinsen, das noch im Raum schwebt, wenn die Katze längst verblasst ist.
Köln, 20 . März, muss Kleider kaufen
Börks. Brauch neue Klamotten. Habe mit Frau Knecht gute Auftritte hingelegt und sogar mal Geld verdient; sollte das vorübergehende Hoch auf meinem Konto ausnutzen, das nächste Tiefdruckgebiet kommt im Sommerloch, das sich letztes Jahr bis Herbst ausgedehnt hat und dieses Jahr schon Ende des Monats zu beginnen droht. Die Klimakatastrophe findet
Weitere Kostenlose Bücher