Jetzt tanzen alle Puppen - Aus dem Alltag einer Comedy-Fachfrau
Janine denkt nach. Kein schöner Anblick, denn jetzt lässt sie beim Kaugummikauen den Mund offen stehen. Um die Verwirrung komplett zu machen, wird Janine jetzt auch noch ausgerufen. »Janine, Janine, bitte. Bitte sofort an die Barkasse kommen.« Geil, denke ich, Präpositionen heute im Sonderangebot. Janine lässt sich weder vom Ausrufen, noch von der immer länger werdenden Schlange hinter mir irritieren und deutet auf eine Altersgenossin, die zielstrebig und bauchfrei zur Umkleide marschiert. »Kumma, wie die aussieht, die Alte, äh«, kaut sich Janine raus. Folgsam drehen Natalie und die Kassiererin den Kopf. Alle gucken einer Brünetten hinterher. »Voll Scheiße, die Alte, ey, die kenn isch«, weiß Janine zu berichten. Eine Information, auf die wir alle gewartet haben, ich, mein T-Shirt, die anderen in der Schlange. Wir murren leise wie Kühe, die gemolken werden wollen. Janine: egal. »Janine, bitte dringend zur Barkasse«, meldet sich der Kaufhausgong wieder, jetzt mit einem deutlich verzweifelten Unterton. Ich weiß auch warum, ich wäre längst an der Barkasse, wäre die Schlange dort nicht 3 0 Meter lang. Die Kassiererin streift Janine mit einem bewundernden Blick: »Ey, isch glaub, du muss rüber, ne?« Janine versucht sich an einer schlagfertigen Antwort, kaut dann aber doch nur Kaugummi. Irgendwie bin ich dankbar. »Janine, bitte«, der Kaufhausgong versucht es mit einem durchsichtigen Trick, »Janine bitte dringend zur Barkasse, ein Anruf für Dich«. Janine macht eine Blase, perfekt, rund und rosa und lässt sie zerplatzen, als gerade die beiden tiefverhüllten Musliminnen an ihr vorbeigehen. Mit diesem Zerplatzen sagt sie mehr, als es ein beredter Vortrag zur Integration getan hätte. Allerdings hätte sie keinen Vortrag halten können, nicht mit ihrem Vokabelschatz.
Durch die Kaufhaustür kommen zwei ausgemergelte, bleiche Rentner-Junkies herein und wühlen in den Klamotten, unschlüssig, was sie nun klauen sollen. Dabei unterhalten sie sich laut und breit und in der irrigen Annahme, so von ihrem desolaten Zustand und ihrer erkennbaren Absicht abzulenken. »Ey, voll geil, die Hose, kauf ich die Hose oder kauf ich die Jacke, wat meinse?«, brüllt die rotgefärbte Junkie-Oma und klappt schon mal ihre Tasche auf. Ihr zahnloser Partner kann nicht antworten, er ist gerade im Stehen eingeschlafen und kippt in den Wühltisch. Nein, eklig zu sein, ist weiß Gott kein Vorrecht der Jugend. Und wieder gongt der Kaufhausgong: »Janine, wenn du deinen Hintern nicht sofort an die Barkasse schwingst, kannst du deine Papiere holen.« »Boa ey, die machen voll Stress heute«, seufzt Janine und setzt sich unter den bewundernden Blicken ihrer Kolleginnen in Bewegung, macht einen Schlenker um den schlafenden Junkie und findet noch Zeit für einen verächtlichen Blick zu den beiden muslimischen Mädchen, bevor sie entschwindet. Manchmal fühle ich mich sehr alt. Habe recherchiert. Fühle mich jetzt wieder jünger: Unsere Jugend ist heruntergekommen und zuchtlos. Die jungen Leute hören nicht mehr auf ihre Eltern. Das Ende der Welt ist nahe. (Keilschrifttext aus Ur, Chaldäa, um 2000 vor Christus)
Ich habe überhaupt keine Hoffnung mehr in die Zukunft unseres Landes, wenn einmal unsere Jugend die Männer von morgen stellt. Unsere Jugend ist unerträglich, unverantwortlich und entsetzlich anzusehen. (Aristoteles, griechischer Philosoph, 384-322 v . Chr.)
Duisburg: Ostern, Wetter: Sonne, ich: fröhlich
Sitze gemütlich unterm Eierstrauch im Duisburger Familienwohnsitz. Hab die Eier für meinen dreijährigen Neffen aus pädagogischen Gründen so hoch versteckt, dass er nicht drankommt. Jetzt hat er mal einen Grund für seine Wutanfälle. Meine Schwester Elli reagiert auf meine erzieherischen Ansätze wenig vertrauensvoll. »Fördern und fordern«, sage ich würdevoll, deute auf meinen Neffen, der auf der Stuhllehne balanciert und ziehe Parallelen zu Hartz-IV-Empfängern, die auch ständig gefördert und gefordert werden sollen. Das gefällt meiner Schwester noch weniger. Eltern sind komisch. Kaum sagt man ihnen einmal, wie bescheuert ihr Kind ist, schon heißt es: »Pack dich mal an die eigene Nase.« Sinniere mich in meine Jugend zurück. Ich war verwirrend absurd: Mal trug ich meine Haare als hennarotes Freak-Gestrüpp, mal einen schwarzen Stachelkopf und ausschließlich schwarzes Leder. Ich hörte experimentelle Punk-Musik, die ich eigentlich nicht mochte, war für eine Galaxie, die nicht an der blöden
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