Jetzt tanzen alle Puppen - Aus dem Alltag einer Comedy-Fachfrau
Frage: Was hat diese Frau bloß gegessen? Im Hintergrund mischt sich Plim-Plim-Entspannungsmusik mit Straßengeräuschen, ein Krankenwagen röhrt vorbei und du wünschst dir eigentlich, drin zu liegen. Irgendwann bittest du sie, nicht mehr zu reden, daraufhin sie: »DAS ist mir ja noch nie passiert, man kann ja wohl respektvoll mit den Menschen umgehen, man wird ja wohl noch fragen dürfe n …« Unter solcherlei Tiraden vergeht die Zeit wie von selbst. Am Ende bist du angespannt und siehst aus wie die blühenden Landschaften ›drüben‹, nämlich als hätte der Braunkohletagebau in deinem Gesicht stattgefunden und rötliche Krater hinterlassen. Beim Thema Mundgeruch bist du mittlerweile zu dem Schluss gekommen, dass irgendwo in der Ecke ein totes Tier liegen muss, eine Pflegemaske oder Ampulle kriegst du für die 4 5 Euro auch nicht, »das ist für Ihren Hauttypus nicht gut, ich handle nicht gegen meine Überzeugungen«, und schließlich und endlich zahlst du für Augenbrauenzupfen fünf Euro extra, weil »alles« eben nicht »alles« ist, jedenfalls nicht Augenbrauenzupfen.
Da wünsche ich mir sehnlich die zwanziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts zurück, als im Haus am Eaton Place Dienstleister weißgestärkte Häubchen trugen und die Kunst beherrschten, unsichtbar zu sein. Wieso muss jeder überall seine Überzeugungen an den Mann bringen? Respektvoll einfach mal die eigenen Überzeugungen für sich behalte n – genau wie den Mundgeruc h –, das wär doch mal was. Muss jetzt Horoskop lese n – natürlich mit der gebührenden Distan z –, mal gucken, was die Sterne zu meinem Freund sagen. Der noch unter dem Stein wohnt. Sieht jedenfalls so aus bei ihm zu Hause, da werde ich einiges ändern müssen, das olle Sofa kommt weg, bisschen Farbe an die Wand, Küche am besten ganz neu. Wenn er sich dann noch die Haare schneidet und ein frisches Hemd anzieht, ist er schon ganz präsentabel. Wie heißt es doch so schön: »Eine Frau möchte einen Mann immer ändern, während ein Mann hofft, dass die Frau so bleibt.«
Schlage Zeitung auf. Im Januar hat er Geburtsta g … Steinbock? Was steht da bei ihm? »Lassen Sie Ihren Gefühlen heute freien Lauf! Machen Sie den ersten Schritt und lassen Sie sich eine Überraschung für Ihre Liebste einfallen.« Eine Überraschung? Ein Geschenk? Da kann ich lange warten. Das einzige, was er mir vom Kurzurlaub mitgebracht hat, war ein Sack voll Schmutzwäsche. Genau wie mein Patenonkel Otto, wenn der sein Schiff verließ. Um auf »Heimaturlaub« oder »Landgang« Tante Anita und seinen Sohn zu sehen. Onkel Otto blieb nie lange. Das änderte sich, als die MS Ursula sank.
27 Onkel Otto
Onkel Otto ist Binnenschiffer. Für die Generation Pisa-Studie: Binnenschiffe befördern Frachten auf Flüssen und Kanälen. Onkel Otto heißt Otto und ist Schiffer wie sein Vater und sein Großvater. Onkel Otto ist von extrem kräftiger Statur, hat Hände wie Gulli-Deckel, trägt eine Kapitänsmütze über einem freundlichen Beagle-Gesicht und hat blaue Augen mit schweren Liedern, die gucken, als könnten sie kein Wässerchen trüben. Dabei trägt e r – wie unsere gesamte Famili e – den Keim des Wahnsinns in sich. Das merkt nur keiner, weil Schiffer die meiste Zeit alleine an Bord sind. Höchstens der Matrose merkt was, wenn Onkel Otto mit dem Luftgewehr auf Angler schießt, aber der sagt nichts. Und nun das. Die MS Ursula, unser Mutterschiff, mit einem holländischen Frachter kollidiert und gesunken! Während die MS Ursula sank, stand Onkel Otto auf der Brücke und setzte Funkspruch um Funkspruch ab: An die anderen Schiffer: »S.O.S. MS Ursula sinkt. Holländer schuld. Kein Skatabend Schleuse Brandenburg. Wiederhole. Kein Skatabend Schleuse Brandenburg.«
An die Reederei: »MS Ursula sinkt. Verliere Fracht. Alarmiert Wasserschutzpolizei! Muss von Bord! Matrose auch!« An seine Frau: »MS Ursula sinkt. Komme drei Wochen früher als beabsichtigt. Bleibe diesmal sehr lange. Nicht abhauen.« Und dann, weil Schiffer ihre Boote sehr lieben, weinte er wahrscheinlich ein bisschen, aber das wird immer sein Geheimnis bleiben. Bis ihn die Wasserschutzpolizei von Bord zog. Die folgenden Tage waren sehr aufregend. Der holländische Frachter hatte die ganze Steuerbordseite aufgerissen. Dank der auslaufenden Düngemittelladung und der damit einhergehenden Verseuchung des Rheins waren unser Schiff und unser Onkel tagelang in den Nachrichten. Wir waren mächtig stolz. Wie er im Fernsehen auf die Holländer
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