Jezebel
Große Insekten, sehr viele, aber auch dicke Spinnen und übergroße Käfer waren erschienen. Es gab nichts, was sie aufhalten konnte. Sie fanden den Weg in jedes Haus und griffen die Menschen an. Er glaubte fest daran, daß jeder Einwohner von den Insekten besucht worden war, denn die meisten waren durch irgendwelche Bisse und Stiche gezeichnet. »Und das gilt auch für Kinder«, fügte er noch hinzu.
»Gab es Tote?«
Er nickte.
Ich saugte die Luft durch die Nase ein. »Wie viele?« Endriss hob die Schultern.
Ich beließ es dabei, aber der Druck in meinem Magen nahm zu.
Inzwischen stand für mich fest, daß wir hier im wahrsten Sinne des Wortes in ein Wespennest gestochen hatten, und ich konnte mir vorstellen, daß sich auch mutierte und sehr aggressive Wespen oder Hornissen durch Euston bewegten.
»Meistens erscheinen sie in der Nacht«, flüsterte der Konstabler, »wenn die Menschen schlafen und sich nicht wehren können. Dann haben die Tiere leichtes Spiel. Am Morgen kommt dann das große Erwachen.«
»Kann ich mir denken«, kommentierte ich. »Aber mich interessiert als Polizist natürlich etwas anderes.«
»Was denn?« fragte Endriss.
»Das Motiv, Herr Kollege. Es muß ein Motiv geben. Wir kennen das. Niemals passiert etwas grundlos. Ich könnte mir vorstellen, daß es eine Person gibt, unter deren Kontrolle all die Insekten und Spinnen stehen. Die es schafft, mit ihnen zu kommunizieren. Die sie leitet und befehligt wie ein Führer. Vielleicht hat diese Person etwas gegen Euston und seine Bewohner.«
Der Konstabler schaute mich an.
An seinem Blick erkannte ich, daß ich nicht so daneben gelegen hatte, und ich erinnerte ihn noch einmal an Archies letzte Worte.
Schnaufend stieß der Mann die Luft aus. Er hatte seine Stirn in Falten gelegt. Dann trank er wieder. »Ja, so etwas kann es geben, Mr. Sinclair.«
»Muß es geben. Was ist hier geschehen?«
»Nichts.«
»Hören Sie auf. Archie Todd hat mich nicht grundlos gewarnt. Er hat davon gesprochen, daß sie wieder da ist. Sie, Mr. Endriss, sind bereits mehr als zehn Jahre in Euston. Sie werden hier jeden Stein kennen, und deshalb möchte ich von Ihnen auch erfahren, wer sie ist.«
»Eine Frau…?«
Ich lachte ihn scharf an. »So schlau bin ich selbst. Aber ich will einen Namen wissen.«
»Moment mal, John.« Suko unterbrach uns, und das tat er bestimmt nicht grundlos.
Da der Konstabler sowieso nichts gesagt hatte, war ich es, der den Mund hielt. Ich drehte mich um und sah, daß Suko bereits an der Tür stand, sie aber noch nicht geöffnet hatte und nur lauschte.
Ich warf wieder einen Blick auf den Konstabler. Er saß wie festgenagelt auf seinem Platz und schien zu ahnen, daß dort etwas ablief, das er nicht überriß oder überreißen wollte. Er kam mir schon so vor, als wüßte er Bescheid.
Selbst durch die geschlossene Tür hörten Endriss und ich den Lärm auf der Treppe.
Dort kam jemand, der sich keine Mühe gab, leise zu gehen. Suko wartete den für ihn günstigsten Augenblick ab, dann öffnete er die Tür mit einem Ruck.
Seine Sicht war frei. Meine noch nicht. Ich hörte jetzt die flüsternde Stimme und wurde von Suko angesprochen.
»Komm her, John!«
Ich stand auf. Drei Schritte brachten mich bis an die Tür, wo mein Sichtfeld frei war.
Links von uns befand sich die Treppe. Sie aber hatten die beiden Männer bereits überwunden. Sie hatten eine Last die Treppe herunter getragen, aber keine Kiste, sondern einen Menschen, der in ein weißes Tuch eingehüllt war.
Suko und ich brauchten keine Hellseher zu sein, um zu wissen, daß eine Leiche unter dem Tuch lag…
***
Die beiden Träger waren stehengeblieben. Völlig überrascht und konsterniert. Daß ein Fremder aus der Tür zur Dienststelle treten würde, damit konnten sie nicht rechnen. Und sie sahen sich auch einem zweiten Fremden gegenüber.
Es waren Männer in mittleren Jahren. Einer von ihnen hatte verweinte Augen. Er atmete scharf und kämpfte mit den Tränen. Auch den Konstabler hatte es nicht an seinem Platz gehalten. Er war hinter uns getreten und schaute durch die Lücke zwischen uns in den Flur hinein.
Das sahen auch die beiden Träger. Der Mann mit den verweinten Augen flüsterte: »Danny ist tot, Fred. Er hat es nicht mehr geschafft. Vor einer halben Stunde ist er gestorben.«
»Schon gut, Phil. Mein Beileid.«
»Wer ist Danny?« flüsterte Suko, während ich mich an ihm vorbeidrängte und in den Flur ging.
»Phils Sohn«, antwortete der Konstabler. »Er war erst
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