JFK -Staatsstreich in Amerika
und die Insel zu besetzen. Außer dem Präsidenten, seinem
Bruder und Verteidigungsminister McNamara plädieren sämtliche in der ersten
Krisensitzung am Morgen des 19. Oktober anwesenden Minister und Generäle dafür,
einschließlich des neuen Joint-Chiefs-Chefs Maxwell Taylor und allen voran der
aggressive Air-Force-Chef Curtis LeMay. Dieser verzichtete im Weißen Haus zwar
auf seine übliche Gepflogenheit, jedem, der nicht seiner Meinung war, seinen
Zigarrenrauch ins Gesicht zu blasen, hielt sich aber ansonsten nicht zurück: »Wir
haben keine andere Wahl als eine direkte militärische Aktion, sofort!« Schon
einen Tag zuvor war Kennedy mit LeMay aneinandergeraten, als er ihn gefragt
hatte, was seiner Meinung nach die Reaktion der Russen auf eine US-Attacke in
Kuba wäre, etwa in Berlin. »Sie werden nichts tun«, hatte LeMay geantwortet,
was Kennedy gegenüber seinem Berater Kenneth O’Donnell danach so kommentiert
hatte: »Diese Blechköpfe haben einen großen Vorteil. Wenn wir auf sie hören und
tun, was sie wollen, ist hinterher niemand von uns mehr am Leben, um ihnen zu
sagen, dass sie falsch lagen.« 30 Jetzt wiederholte LeMay sein Credo, dass die Russen in Berlin nichts
unternehmen würden, denn: »Wenn sie irgendeine Bewegung machen, werden wir
kämpfen.« Seit den 50er Jahren hatte LeMay angesichts der zahlenmäßigen
Überlegenheit der amerikanischen Interkontinentalraketen immer wieder einen
nuklearen Erstschlag gegen die Sowjetunion gefordert und folglich absolut
nichts gegen eine Provokation der Russen einzuwenden. Sehr wohl aber gegen
Kennedys Vorschlag einer Seeblockade der russischen Militärfrachter und
politischer Verhandlungen »Das«, erwiderte LeMay, »ist fast genauso übel wie
die Beschwichtigung in München.« Der Historiker Sheldon Stern, der die Kennedy-Tonbänder
ausgewertet hat, beschreibt die Schrecksekunde des Schweigens, die nach dieser
dreisten Anspielung auf die Konferenz in München 1938 eintrat, bei der die
Briten zur Vermeidung eines Kriegs mit Deutschland Hitlers Annexion des
Sudetenlands akzeptiert hatten: »Die Joint Chiefs müssen kollektiv den Atem
angehalten haben, als sie auf die Antwort des Präsidenten warteten. … Der
General hatte zur ultimativen Metapher ihrer Generation für Kurzsichtigkeit und
Feigheit gegriffen … und sie dem Präsidenten ins Gesicht geschleudert.« Und
damit auch auf einen Schatten der Familiengeschichte Kennedys, Vater Joes
Sympathien für das Appeasement mit Hitler-Deutschland, angespielt – ein Schlag
unter die Gürtellinie. Doch Kennedy, schreibt Stern weiter, »zeigte eine
bemerkenswerte Kaltblütigkeit und weigerte sich, diesen Köder zu schlucken. Er
sagte absolut nichts.« 31 Die Generäle versuchten weiter, den Präsidenten von einem sofortigen
Militärschlag gegen Kuba zu überzeugen. »Ich denke«, sagte LeMay gegen Ende der
Sitzung, »dass eine Blockade und politische Gespräche von vielen unserer
Freunde und auch von neutralen (Staaten) als ziemlich schwache Antwort darauf
angesehen werden. Und ich bin sicher, dass viele unserer Bürger das ähnlich
empfinden. Mit anderen Worten: Sie stecken zur Zeit in einer ziemlich üblen
Klemme.« – »Was haben Sie gesagt?«, fragte Kennedy. »Ich habe gesagt, dass Sie
in einer ziemlich üblen Klemme stecken«, erwiderte LeMay, worauf Kennedy
lachte: »Sie stecken mit mir darin, persönlich.« Er verließ die Sitzung mit dem
Hinweis, dass wohl alle verstanden hätten, »wie unbefriedigend die derzeitigen
Alternativen sind« – doch für ihn ließen diese unbefriedigenden Möglichkeiten
nur eine einzige Wahl zu: nämlich die, den Krieg, den seine Militärs und große
Teile seines eigenen Kabinetts forderten, unter allen Umständen zu verhindern.
Er wies Verteidigungsminister McNamara an, die Seeblockade zu organisieren und
dabei darauf zu achten, dass keiner seiner Admiräle einen Zwischenfall
provozieren würde, er gab der CIA die Order, die Überfälle von Sabotagetrupps
in Kuba zu stoppen – und er machte sich daran, die letzte Option zu nutzen, von
denen weder die Militärs noch die Geheimdienste und sein Kabinett zu dieser Zeit
wussten: seinen geheimen »Back Channel« mit dem Partei- und Regierungschef auf
der anderen Seite des Eisernen Vorhangs, den Kontakt mit Nikita Chruschtschow.
Vermittelt über seinen Bruder und einen in Washington stationierten russischen
Journalisten hatte Kennedy kurz zuvor einen Briefwechsel mit dem Kremlchef
begonnen, und dieser erst 1993 im Rahmen des
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