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Jhereg

Jhereg

Titel: Jhereg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Brust
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mir an.
    Mädchen? Eigentlich konnte ich ihr Alter gar nicht einschätzen, aber da sie eine Dragaeranerin war, hätte sie irgendwas zwischen einhundert und eintausend Jahren alt sein können. Ihre Gewänder waren Schwarz und Grau, daher wußte ich, sie stammte aus dem Hause Jhereg. Genau wie ihr Begleiter, der sich uns näherte. Auch die drei von dem anderen Tisch waren aus jenem Haus. Das alles war nichts Besonderes; in unsere Schenke kamen meistens Jhereg, oder auch mal ein Teckla (jedes Haus der Dragaeraner trägt einen Namen aus unserer Tierwelt).
    Jetzt stand ihr Begleiter hinter ihr.
    »Dein Name ist Vlad?« fragte sie mich.
    Ich nickte.
    »Ich bin Kiera«, sagte sie. Ich konnte nur abermals nicken. Da hat sie wieder gelächelt und sich an ihren Begleiter gewandt. Dann haben sie ihre Rechnung bezahlt und sind gegangen. Ich bin nach hinten und habe das aufgeräumt, was die beiden Mörder zurückgelassen hatten – und mein Vater.
    Kiera, dachte ich bei mir, ich werde dich nicht vergessen.
    Als einige Zeit später die Phönix-Wachen ankamen, war ich hinten, und mein Vater erzählte ihnen, nein, keiner hatte gesehen, was passiert ist, wir waren alle hinten. Aber ich habe nie das Gefühl einer Klinge im Nacken vergessen.
     
     
    Und noch ein Beispiel …
    Da war ich sechzehn und lief alleine durch die Urwälder im Westen von Adrilankha. Etwas mehr als hundert Meilen entfernt lag die Stadt, und es war Nacht. Ich genoß die Einsamkeit, und selbst das mulmige Gefühl in der Magengegend, als ich die Möglichkeit in Betracht zog, ich könnte einem wilden Dzur oder einem Lyorn oder gar, Verra bewahre, einem Dragon über den Weg laufen, machte mir nichts aus.
    Unter meinen Schritten knackste und platschte der Boden abwechselnd. Ich gab mir gar keine Mühe, leise zu sein, weil ich hoffte, daß der Lärm, den ich machte, jedes Tier erschrecken würde, das ansonsten mich erschrecken würde. Heute erscheint mir das nicht mehr sehr logisch.
    Als ich in den Himmel schaute, war keine Lücke in der Wolkendecke zu erkennen, die das Dragaeranische Imperium überzieht. Mein Großvater hatte mir einmal erzählt, daß über seiner Heimat im Osten kein solcher orangeroter Himmel sei. In der Nacht könne man sogar Sterne sehen, und ich habe sie durch seine Augen gesehen. Er konnte nämlich seine Gedanken für mich öffnen, und er tat es oft. Das hatte dazugehört, als er mir die Hexenkunst beibrachte, und war der Grund, der mich mit sechzehn in diese Wälder geführt hatte.
    Der Himmel erleuchtete meinen Weg, so daß ich mich einigermaßen orientieren konnte. Ich achtete einfach nicht auf die Kratzer an den Armen und im Gesicht, als ich durch das Unterholz ging. Allmählich kam mein Magen nach dem Teleport, der mich hierher gebracht hatte, wieder zur Ruhe.
    Mir fiel auf, daß eine gute Portion Ironie darin lag – daß ich einen dragaeranischen Zauberspruch benutzt hatte, um an einen Ort zu gelangen, wo ich die nächste Stufe der Hexenkunst erklimmen sollte. Ich warf mir den Beutel über die Schulter und trat auf eine Lichtung.
    Ja, das sah doch ganz gut aus, entschied ich. Ein grober Kreis, etwa zwölf Meter im Durchmesser und von hohen Gräsern bewachsen. Ich ging einmal herum, langsam und vorsichtig, und strengte mich an, alles genau aufzunehmen. Jetzt in das Netz einer Chreotha zu stolpern hätte mir gerade noch gefehlt.
    Aber sie war leer, meine Lichtung. Ich trat in die Mitte und legte meinen Beutel ab. Darin waren ein kleiner schwarzer Gitterrost, ein Säckchen Kohlen, eine schwarze Kerze, ein Weihrauchstab, ein toter Teckla und ein paar getrocknete Blätter, und das alles holte ich hervor. Die Blätter waren vom Gorynthstrauch, den einige Religionen drüben im Osten für heilig halten.
    Sorgfältig zerbröselte ich die Blätter, bis sie einigermaßen fein waren, dann schritt ich einmal um die Lichtung herum und streute das Pulver vor mir aus.
    Dann ging ich wieder zur Mitte zurück. Dort blieb ich eine Weile sitzen und entspannte jeden einzelnen Muskel in meinem Körper in einem Ritual, durch das ich fast in Trance verfiel. Als mein Körper soweit war, mußte mein Geist zwangsläufig folgen. Ich war also bereit und legte, eins nach dem anderen, langsam die Kohlestücke auf das Gitter. Jedes Stück hielt ich einen Augenblick lang in der Hand, fühlte seine Form und Gestalt, und der Dreck hinterließ seine Spuren auf meinen Handflächen. In der Hexenkunst kann alles zu einem Ritual werden. Schon bevor die eigentliche Hexerei

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