Jhereg
gebrochen.
Ich weiß auch nicht. Vielleicht, wenn ich härter an mir gearbeitet hätte, wäre ich ein so guter Zauberer geworden, daß ich meinen Vater hätte retten können. Ich weiß es einfach nicht.
Nach seinem Tod hatte ich jedenfalls mehr Zeit, Hexerei und Fechten zu lernen, obwohl ich zusätzlich eine Schenke leiten mußte. Meine Hexenkünste sind ziemlich gut. Sogar so gut, daß mein Großvater schließlich meinte, er könne mir nichts mehr beibringen. Er wies mich an, den nächsten Schritt alleine zu gehen. Und der nächste Schritt war natürlich …
Mit flatternden Flügelschlägen kehrte sie zur Lichtung zurück. Dieses Mal flog sie direkt zu mir und landete vor meinen übereinandergeschlagenen Beinen. In ihrer rechten Klaue umklammerte sie ein kleines Ei. Sie reichte es mir.
Ich bezwang meine Aufregung. Es hatte funktioniert! Nachdem ich mir sicher war, daß sie nicht zitterte, streckte ich die rechte Hand aus. Das Ei fiel hinein. Irgendwie war ich überrascht, wie warm es war. Es paßte genau in meine Handfläche. Vorsichtig steckte ich es in die Brusttasche meiner Weste.
»Danke, Mutter«, dachte ich zu ihr gewandt. »Möge dein Leben lang sein, deine Nahrung reichlich und deine Nachkommenschaft zahlreich.«
»Und dir«, antwortete sie, »ein langes Leben und gute Jagd.«
»Ich bin kein Jäger«, korrigierte ich sie.
»Du wirst einer.« Mit diesen Worten wandte sie sich ab, breitete die Flügel aus und flog aus der Lichtung davon.
In der folgenden Woche hätte ich das Ei, das ich an meiner Brust trug, beinahe zweimal zerbrochen. Beim ersten Mal bin ich in eine Schlägerei mit ein paar Trotteln aus dem Hause Orca geraten; beim zweiten Mal wäre es fast an einer Kiste mit Gewürzen kaputtgegangen, die ich bei der Arbeit in der Küche vor der Brust tragen wollte.
Diese Zwischenfälle waren mir derart in die Knochen gefahren, daß ich beschloß, sicherzustellen, daß nichts mehr geschehen konnte, was das Ei in Gefahr brachte. Um mich gegen Konflikte zu schützen, lernte ich Diplomatie, um dem anderen Problem aus dem Weg zu gehen, verkaufte ich die Schenke.
Diplomatischer zu werden war eindeutig schwieriger. Von Natur aus bin ich absolut nicht zu so etwas geneigt, und ich mußte immerzu auf der Hut sein. Schließlich stellte sich jedoch heraus, daß ich es schaffte, äußerst höflich zu einem Dragaeraner zu sprechen, der mich beleidigt hatte. Manchmal glaube ich, es lag vor allem an dieser Gabe, daß ich später so erfolgreich sein sollte.
Die Schenke zu verkaufen war in erster Linie eine Erleichterung. Seit mein Vater tot war, hatte ich sie alleine geführt, und es hatte auch für meinen Lebensunterhalt gereicht, aber irgendwie habe ich mich nie für einen Gastronomen gehalten.
Allerdings stellte sich dann recht deutlich die Frage, womit ich in Zukunft mein Geld verdienen sollte – sowohl in naher als auch in ferner Zukunft. Mein Großvater bot mir eine Beteiligung an seinem Hexengeschäft an, aber mir war klar, daß es gerade genug Kundschaft gab, um ihn alleine durchzubringen. Außerdem hatte Kiera mir vorgeschlagen, mich in ihrem Beruf auszubilden, aber für Diebe aus dem Osten hingen die Früchte hoch in Dragaera. Und Diebstahl mochte mein Großvater überhaupt nicht.
Trotzdem hatte ich den Laden erstmal verkauft und von den Erlösen auch eine Zeitlang leben können. Ich verrate nicht, wieviel ich bekommen habe; ich war noch jung. Weil die Wohnung über der Schenke ebenfalls an den neuen Besitzer ging, mußte ich auch noch ein anderes Quartier suchen.
Außerdem habe ich mir eine Klinge gekauft. Dabei handelte es sich um einen ziemlich leichten Stoßdegen, den ein Schwertschmied des Hauses Jhereg, der mich schamlos ausnahm, nach meinen Wünschen anfertigte. Der Degen war gerade fest genug, um die Angriffe der schwereren dragaeranischen Schwerter abzuwehren, und so leicht, daß man ohne Schwierigkeiten jene Paraden ausführen konnte, mit denen ein Fechter aus dem Osten dragaeranische Schwertkämpfer überraschen kann, die normalerweise nur Angriff-Verteidigung-Angriff beherrschen.
Mit ungewisser Zukunft saß ich also da und kümmerte mich um mein Ei.
Etwa zwei Monate, nachdem ich das Restaurant verkauft hatte, saß ich an einem Kartentisch in einem Etablissement, das auch uns aus dem Ostreich einließ, und spielte ein bißchen um geringfügige Summen. In jener Nacht war ich der einzige Mensch dort, und es wurde vielleicht an vier Tischen gespielt.
Neben mir wurde es
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