Jhereg
arbeiten. Soviel ich weiß, geht Ihr momentan keiner Beschäftigung nach, und –« Er zuckte die Achseln.
Daraufhin wollte ich ihm Tausende von Fragen stellen, angefangen mit: »Woher wißt Ihr so viel über mich, und warum interessiert Euch das?« Aber ich wußte nicht, wie ich das formulieren sollte, also sagte ich: »Bei allem Respekt, Mylord, ich wüßte nicht, in welcherlei Hinsicht ich Euch behilflich sein könnte.«
Er zuckte wieder die Achseln. »Zuerst mal dabei, solche Probleme, wie wir sie gestern hatten, zu verhindern. Außerdem brauche ich ab und an Hilfe beim Eintreiben von Schulden. Solche Sachen. Für gewöhnlich habe ich zwei Leute, die mir bei der Leitung des Ladens helfen, aber einer von denen hatte letzte Woche einen Unfall, deshalb bin ich im Augenblick etwas dünn besetzt.«
Irgendwie gefiel mir nicht, wie er ›Unfall‹ sagte, aber ich verschwendete keine Zeit damit zu überlegen, was er gemeint haben konnte.
»Wiederum bei allem Respekt, Mylord, mir scheint einer aus dem Ostreich nicht eben furchteinflößend zu sein, wenn er einem Dragaeraner gegenübersteht. Ich wüßte nicht, wie ich –«
»Ich bin überzeugt, daß das kein Problem darstellen wird«, unterbrach er mich. »Wir haben eine gemeinsame Freundin, und die hat mir versichert, daß Ihr mit so etwas umgehen könnt. Zufällig schulde ich ihr ein paar Gefälligkeiten, und sie bat mich darum, Euch mit an Bord zu nehmen.«
Sie? Dann war natürlich alles klar. Kiera, die Gute, kümmerte sich mal wieder um mich. Plötzlich sah alles wesentlich einfacher aus.
»Eure Bezahlung«, fuhr er fort, »wäre vier Imperials die Woche, zuzüglich zehn Prozent aller ausstehenden Schulden, die Ihr eintreibt. Das heißt, eigentlich die Hälfte davon, weil Ihr mit meinem anderen Assistenten zusammenarbeiten werdet.«
Jesses! Vier Goldene die Woche? Das war schon mehr, als ich mit der Schenke durchschnittlich verdient hatte. Und die Provision, selbst wenn ich sie teilen mußte –
»Seid Ihr sicher, daß dieser Assistent auch nichts dagegen hat, mit einem Men – einem aus dem Ostreich zusammenzuarbeiten?«
Seine Augen verengten sich. »Das ist mein Problem«, sagte er. »Und, nebenbei bemerkt, ich habe die Sache bereits mit Kragar besprochen, und es stört ihn ganz und gar nicht.«
Ich nickte. »Ich muß darüber schlafen«, meinte ich.
»Selbstverständlich. Ihr wißt ja, wo Ihr mich findet.«
Ich nickte wieder und brachte ihn unter beiderseitigen Höflichkeitsbezeugungen zur Tür. Als sie ins Schloß fiel, schaute ich zu meinem Jhereg hinüber und fragte ihn: »Und? Was meinst du?«
Der Jhereg antwortete nicht, aber das hatte ich auch nicht erwartet. Nachdenklich setzte ich mich hin und überlegte, ob die Probleme meiner Zukunft damit aufgehoben oder bloß aufgeschoben wären. Aber das würde sich zeigen. Im Augenblick hatte ich wichtigere Fragen zu beantworten – welchen Namen sollte ich meinem Jhereg geben?
Ich nannte ihn ›Loiosh‹. Er nannte mich ›Mama‹. Ich erzog ihn. Er biß mich. Allmählich, im Laufe der folgenden Monate, entwickelte ich eine Immunität gegen sein Gift. Wesentlich langsamer, im Laufe der Jahre, entwickelte ich eine zumindest teilweise Immunität gegen seinen Humor.
Als ich unerfahren mit meiner neuen Arbeit begann, konnte Loiosh mir helfen. Erst nur ein bißchen, später dann sehr viel mehr. Denn wem fällt schon ein Jhereg mehr auf, der über der Stadt herumfliegt? Dem Jhereg hingegen fällt eine ganze Menge auf.
Langsam, im Laufe der Zeit, wuchsen meine Fähigkeiten, mein Ansehen, meine Freunde und meine Erfahrung.
Und genau wie seine Mutter mir vorausgesagt hatte, wurde ich ein Jäger.
[ Der Zyklus ]
Phönix ins Verderben sinkt
Stolzer Dragon sich aufschwingt
Lyorn knurrt und senkt das Horn
Tiassaränke sind geborn
Hawk blickt stolz auf sie herab
Dzur setzt in der Nacht sich ab
Issola im Verbeugen sticht
Tsalmoth bleibt, wie, weiß man nicht
Vallista zerstört und baut
Jhereg fremde Beute klaut
Iorich, ruhig, vergißt zuletzt
Chreotha listig webt das Netz
Hinterrücks schlägt Yendi zu
Orca kreist dich ein im Nu
Der feige Teckla lebt versteckt
Jhegaala eifrig Speichel leckt
Athyra kennt den Geist genau
Phönix steigt aus Asche, grau
»ERFOLG BEDEUTET STILLSTAND; STILLSTAND BEDEUTET SCHEITERN«
Ich schob den Giftpfeil in seinen Schlitz unter meinem rechten Mantelkragen, gleich neben den Nachschlüssel. Er durfte nicht zu tief stecken, damit
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