Jim Knopf und die Wilde 13
gefunden
hatte, obwohl es ja eigentlich nicht absichtlich geschehen war. Lukas beugte
sich über die Glaswalze und untersuchte sie aufmerksam.
„Sie scheint in Ordnung zu sein“, sagte
er schließlich.
„Ich möcht’ wissen“, meinte Jim, „wer
sie rausgenommen und hierher gelegt hat.“
Sie klebten die beiden Kerzenstummel
sorgsam auf einen Felsenvorsprung, hoben das schwere Verbindungsstück vom Boden
empor und trugen es Meter um Meter zu der Stelle zwischen den beiden
Wurzelausläufern hinüber. Sie mußten immer wieder absetzen, um zu verschnaufen
und sich den Schweiß aus den Augen zu wischen, der ihnen bei der Hitze in
kleinen Bächen von der Stirn lief. Begreiflicherweise beanspruchte dieser
Transport ziemlich viel Zeit, und die beiden Freunde vergaßen über ihrem Eifer
völlig, auf die herunterbrennenden Kerzen zu achten.
Als sie eben bei dem letzten Meter vor
der Verbindungsstelle angekommen waren und ihre Last noch einmal absetzten,
bemerkten sie plötzlich, daß das Licht, das von den Kerzen nur noch schwach zu
ihnen herüberdrang, zu flackern anfing.
„Sie geh’n aus!“ stieß Jim mit
schreckensweiten Augen hervor und wollte hinlaufen. Aber Lukas hielt ihn
zurück.
„Bleib hier! Sie sind zu Ende gebrannt,
daran ist nichts mehr zu ändern. Wenn du jetzt wegrennst, dann verlieren wir
uns womöglich in der Dunkelheit. Wir müssen auf jeden Fall zusammenbleiben.“
Noch ein, zwei Augenblicke lang tanzten
die Flämmchen in der entfernten Ecke des riesigen Felsensaales auf und nieder,
dann wurden sie kleiner und erloschen. Die beiden Freunde hielten den Atem an
und vernahmen noch ein leises Zischen, dann umfing sie die ewige Finsternis der
untermeerischen Grotte.
„Verflixt und zugenäht!“ knurrte Lukas
durch die Zähne, und seine Stimme hallte von den steinernen Wänden und Pfeilern
wider. „Was machen wir jetzt?“ fragte Jim, dem das Herz bis zum Halse schlug.
„Keine Sorge, alter Junge“, sagte
Lukas, „für den äußersten Notfall habe ich immer noch ein paar Streichhölzer in
der Tasche. Wir werden schon wieder zur Wendeltreppe zurückfinden. Aber ich
will vorsichtshalber lieber sparsam damit umgehen. Jetzt wollen wir erst mal
die Glaswalze einbauen, dazu brauchen wir schließlich kein Licht.“
Sie hoben mit vereinten Kräften die
Last noch einmal hoch und schoben sie in die Vertiefung auf dem Boden.
„So, das hätten wir geschafft!“ war
Lukas’ Stimme durch die Finsternis zu hören. „Und jetzt wollen wir schleunigst
an die frische Luft.“
„Pst“, flüsterte Jim, „hör doch mal,
Lukas. Was is’ das?“
Beide lauschten. Ein sonderbarer Ton
drang an ihr Ohr, ein metallisches Klingen, tief und dunkel wie aus dem Inneren
der Erde, das langsam mehr und mehr anschwoll und den Boden erzittern ließ, wie
das erzene Dröhnen und Brummen einer gewaltigen großen Glocke.
„Lukas!“ schrie Jim und tastete
taumelnd in der Finsternis nach seinem Freund.
„Komm her, Jim!“ rief Lukas durch das
Getöse und zog seinen kleinen Freund zu sich heran, wobei er schützend seinen
Arm um dessen Schulter legte. So standen sie und warteten ab, was geschehen
würde.
Mit einemmal ließ das unerträglich
laute Dröhnen nach. Nur noch ein feines Singen, hoch und gläsern, lag in der
Luft und wurde immer feiner und höher. Zugleich aber begann die gläserne Walze
zwischen den beiden Eisenwurzeln ein wundervolles, bläuliches Licht
auszustrahlen, das die ganze Riesenhöhle erleuchtete. Staunend blickten sich
die beiden Freunde um. All die vielen Wände und Säulen der Tropfsteingrotte
warfen das bläuliche Licht glitzernd und funkelnd zurück wie Millionen und
Abermillionen winzigkleiner Spiegel, so daß man glauben konnte, im Palast der
Schneekönigin zu stehen. Nun konnten die Freunde den Eingang in die große
Eisenwurzel leicht wiederfinden. Sie folgten dem gewundenen Gang, der zum
Schacht mit der Wendeltreppe zurückführte. Auch hier brauchte Lukas seine
Streichhölzer nicht, denn an den eisernen Wänden und an der Decke Hefen
ununterbrochen wie in Wellen kleine blaue Flämmchen entlang, kreuzten sich mit
anderen Wellen und verschwanden wieder.
Jim hatte zuerst etwas Angst vor diesen
Lichterscheinungen, weil er fürchtete, sich zu elektrisieren. Aber Lukas
beruhigte ihn.
„Es ist nicht gefährlich“, erklärte er,
„weil es nämlich kein elektrischer Strom ist, sondern magnetisches Feuer, und
das tut dem Menschen nichts. Man nennt es Sankt-Elms-Feuer.“
Als sie den Schacht
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