Jim Knopf und die Wilde 13
„das kleine
Fräulein scheint’s ja mächtig eilig zu haben. Hoffentlich kommt sie auch ebenso
schnell wieder zurück.“
„Ich glaub’ schon“, meinte Jim, „sie
hat doch die Zügel dagelassen.“ Und er ließ bewundernd die mit Perlen und
schimmernden Fischschuppen verzierten Ledergurte durch die Finger gleiten.
„Hoffen wir das Beste“, antwortete
Lukas, während er auf Emmas Dach kletterte und den Deckel des Tenders zu öffnen
versuchte, „ich bin nicht ganz sicher, ob Meerleute nicht ein bißchen großzügig
mit der Zeit umgehen. Sie können sich’s wahrscheinlich leisten. Verflixt und
zugenäht, der Deckel geht ja auch nicht auf! Wird uns nichts anderes
übrigbleiben, als im Freien zu übernachten. Am besten legen wir uns unter Emma,
dann haben wir wenigstens ein Dach überm Kopf.“
Sie machten es sich bequem, so gut es
eben ging, und während er sich an Lukas kuschelte, dachte Jim noch im
Einschlafen:
„Wenn das Frau Waas wüßte...!“
NEUNTES KAPITEL
in dem Jim einen Unterschied sucht und verschiedenes zu
fliegen anfängt
Es lag keine gemütliche Nacht hinter
ihnen, als sie am nächsten Morgen frierend unter der Lokomotive
hervorkrabbelten. Der Himmel war noch immer wolkenbedeckt, und der Wind
peitschte die Wellen, die sich donnernd an den eisernen Klippen brachen. Bei
Tag schien das Barbarische Meer eher noch unbehaglicher als bei Nacht, obwohl
es weniger schauerlich wirkte.
Jim und Lukas beschlossen, gleich an
die Arbeit zu gehen und den Magneten wieder abzustellen, weil sie großen
Appetit auf ein gutes Frühstück verspürten und die Provianttüte von Frau Waas
mit den Butterbroten, den hartgekochten Eiern und dem Kakao in Emmas magnetisch
verschlossenem Führerhäuschen war. Vom Meerleuchten war bei Tageslicht ohnedies
nichts mehr zu sehen. Das Wasser sah jetzt ganz gewöhnlich aus.
Die beiden Freunde kletterten also auf
die höchste Zinne der eisernen Klippe, wo sie neben dem fünfeckigen Einstieg in
den Schacht noch immer den Werkzeugkasten, die Taschenlampe, Jims Gürtel und
die Schuhe nebst dem Taschenmesser von Lukas fanden, alles noch ebenso
unbeweglich wie in der vergangenen Nacht.
Leider fand sich im Werkzeugkasten nur
noch eine halbe Kerze. Aber Lukas meinte, sie würde wohl ausreichen, da sie ja
nur für den Rückweg nötig sei. Solange das Verbindungsstück noch an seinem Platz
läge, hätten sie ja das Sankt-Elms-Feuer als Beleuchtung. Und so war es auch.
Während die beiden Freunde den endlosen Schacht wieder hinunterkletterten,
erleuchteten ihnen die blauen Flämmchen den Weg.
„Eigentlich is’ es schade“, meinte Jim.
„Jetzt müssen wir den Magnet wieder abstellen, wo es doch so schwer war, ihn
anzumachen.“
„Die Hauptsache“, antwortete Lukas,
„ist schließlich, daß wir herausgefunden haben, wie die Sache funktioniert. Ich
finde es sogar sehr gut, wenn wir jetzt noch erforschen, ob der Magnet sich
auch wirklich wieder abstellen läßt.“
„Warum?“ fragte Jim.
„Weil man dann in Zukunft vielleicht
einen Wärter auf dieser Klippe anstellen könnte, der die Magnetkraft abstellt,
falls zum Beispiel ein Schiff in die Nähe kommt. Dann könnte nichts mehr
passieren, und die Meerbewohner hätten trotzdem die meiste Zeit ihre
Beleuchtung.“
„Ja“, sagte Jim, „das wär’ famos. Aber
ob hier jemand Wärter sein mag?“
„Warum nicht?“ meinte Lukas. „Man müßte
eben nur den Richtigen finden. Ich fürchte allerdings, daß ein Meerbewohner für
diesen Beruf nicht ganz geeignet ist.“
„Das glaub’ ich auch“, sagte Jim, „sie
sind zu wässerig.“
Und dann stiegen sie weiter schweigend
in die Tiefe hinunter. Schließlich erreichten die beiden Freunde den Boden des
Schachtes, folgten dem gewundenen Gang, der durch das Innere der großen Wurzel
führte, und traten zuletzt in die glitzernde Helligkeit der untermeerischen
Tropfsteinhöhle hinaus. Alles war noch unverändert.
Als Lukas sich über die gläserne Walze
beugte, deren blendendes blaues Licht mit ungeschützten Augen beinahe nicht zu
ertragen war, fragte Jim: „Ob das Verbindungsstück vielleicht aus dem ,Kristall
der Ewigkeit’ is’?“
„Wahrscheinlich“, antwortete Lukas,
„anderes Glas würde diese Beanspruchung gar nicht aushalten.“
Er berührte die Walze vorsichtig mit
der Hand, um zu prüfen, ob sie vielleicht durch den leuchtenden Eisenstab im
Innern sehr heiß wäre. Aber sie war gerade lauwarm.
„Ein ausgezeichnetes Material“, brummte
er
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