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Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer

Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer

Titel: Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Ende
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Zähne zusammen. In diesem Augenblick blieb Emma stehen und stieß einen langen verzweiflungsvollen Pfiff aus. Irgendwie war sie von der schnurgeraden Linie abgekommen, und nun spürte sie plötzlich, daß direkt vor ihren Rädern der Abgrund gähnte.
    »Verflixt!« sagte Lukas und versuchte nacheinander ein paar Hebel. Aber Emma zitterte bloß und weigerte sich weiterzufahren.
    »Was hat sie denn?« fragte Jim mit schreckensweiten Augen.
    »Keine Ahnung«, knurrte Lukas. »Sie will nicht weiter. Wahrscheinlich haben wir den geraden Weg verloren.«
    »Und was wird jetzt?« flüsterte Jim. Lukas antwortete nicht. Aber Jim kannte Lukas’ Gesicht, wenn höchste Gefahr bestand. Dann wurde der Mund zu einem Strich, die Backenknochen traten hervor, und die Augen wurden ganz schmal.
    »Auf jeden Fall darf das Feuer nicht ausgehen«, sagte er schließlich. »Sonst sind wir verloren.«
    »Aber wir können doch nicht einfach hier stehenbleiben«, wandte Jim ein.
    Lukas zuckte nur die Achseln. Jim fragte nicht weiter. Wenn nicht mal Lukas wußte, was sie tun sollten, dann stand es wohl ziemlich schlimm.
    Das Klagen des Windes hörte sich jetzt beinahe schadenfroh an. Es war, als ob der »Mund des Todes« schauerlich lachte:
    »Huhuhuhuhohohooooooo!«
    »Gib die Hoffnung nicht auf, alter Junge!« tröstete Lukas.
    Aber es klang nicht sehr überzeugend.
    Sie warteten und warteten, und dabei überlegten sie beide angestrengt, was zu tun wäre. Aussteigen konnten sie nicht wegen der Kälte. Außerdem hätte es ja auch nichts genützt. Rückwärtsfahren ging nicht, denn Emma wagte nicht die kleinste Bewegung, weder vorwärts noch zurück. Was sollten sie tun? Nichts konnten sie tun. Aber sie mußten irgend etwas unternehmen! Jede Sekunde, die sie verloren, brachte sie dem Augenblick näher, wo die Kohlen zu Ende waren.
    Während sie schweigend weiterschürten und ihr Gehirn zermarterten, ohne daß ihnen etwas einfiel, bereitete sich draußen ihre Rettung vor. Der Dampf, der aus Emmas Schornstein aufstieg, gefror nämlich in der eiskalten Luft und fiel als Schnee herunter. Der klagende Wind trieb die Flocken vor sich her, und nach und nach bedeckte sich die Umgebung rings um die Lokomotive mit Schnee.
    Die weißen Wirbel senkten sich über die schwarzen Felsen, und wo diese vom Schriee bedeckt waren, konnten sie das Licht nicht mehr aufschlucken, und auf einmal war der Weg zu erkennen. Mitten im schwarzen Nichts schwebte plötzlich ein Stück weiße Straße.
    Jim bemerkte es zuerst. Er hatte ein Loch in die Eisblumen am Fenster gehaucht und versuchte hinauszuspähen. »He, Lukas!« rief er. »Schau doch mal!«
    Lukas sah hinaus. Dann richtete er sich auf, nickte Jim ernst zu, holte tief Luft und sagte: »Wir sind gerettet.«
    Und dann zündete er sich eine neue Pfeife an. Nun war Emma auch zu bewegen, weiterzufahren. Sie fand die gerade Linie wieder, und von neuem ging es hinein in die kohlpechrabenschwarze Finsternis.
    »Huuuuuooooochchchchchchch!« stöhnte der Wind. Und es klang, als führen sie geradewegs in den geöffneten Todesrachen hinein.
    »Oooooooaaaaaahhhhhhhh!« gähnte es. Und dann kamen sie auf der anderen Seite des Felsentores heraus und waren dem ›Mund des Todes‹ entronnen.
    »Hiiiiiiiüüüüü!« seufzte es noch einmal hohl hinter ihnen her, aber es hörte sich schon viel ungefährlicher an. Und dann verhallte das Wehklagen hinter ihnen in der Ferne.
    Sie hatten jetzt nur noch zehn Schaufeln Kohle. Aber zum Glück führte der Weg nun abwärts, denn der ›Mund des Todes‹ lag ja an der höchsten Stelle. Lukas warf jede Minute eine Schaufel Kohlen aufs Feuer: Eine Minute - zwei Minuten - drei Minuten - vier - fünf - sechs - sieben Minuten - acht -neun - und - zehn Minuten - - - jetzt war die letzte Schaufel Kohle verheizt. Aber es wurde nicht heller. Immer langsamer rollte die Lokomotive. Gleich würde sie stehenbleiben … Da, im allerletzten Augenblick, war es, als glitten sie durch einen Vorhang hindurch. Licht drang durch die vereisten Fenster herein, helles Sonnenlicht. Emma blieb stehen.
    »So, Jim«, sagte Lukas, »wie war’s mit einer kleinen Erholungspause?«
    »In Ordnung«, antwortete Jim und stieß einen tiefen Seufzer der Erleichterung aus.
    Sie entfernten mühsam das dicke Eis von den Riegeln und stießen die Tür auf. Warme Luft strömte ihnen entgegen. Sie kletterten hinaus, um ihre erstarrten Glieder in der Sonne aufzutauen.

Neunzehntes Kapitel
    in dem Lukas und Jim einen kleinen Vulkan

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