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Jim

Jim

Titel: Jim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Lang
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betrachtete seine Rechte von vorn und von hinten. Er schüttelte sie. Je länger er ihn anschaute, desto kürzer und verkümmerter erschien ihm der eigene Ringfinger. Er untersuchte nun auch die kranke Hand und fand das Ergebnis nicht besser. Dabei fühlte er sich ziemlich lächerlich.
    Er dachte an Mundts Finger und wie sie die Vermouthflasche hielten. Tarquinia – wie viele Jahre war das her? Plötzlich wurde er wütend. Sollten sie doch zusammen abhauen! Er würde sie nicht daran hindern. Seine Gene würde Mundt mit Annas Hilfe jedenfalls nicht mehr durchsetzen. Dieser Egoshooter hatte es in all den Jahren nie länger als ein paar Monate mit derselben Frau ausgehalten. Der war überhaupt nicht bindungsfähig! Aber was hieß schon Bindung? Vielleicht glich Anna den fehlenden Sex in ihrer Beziehung einfach mit dem sympathischen, so jugendlichen Tobias aus und konnte ihrem Mann deshalb so leicht das Gefühl vermitteln, ihr fehle nichts. Mundt war sicher keiner, der sich von einer Freundschaftdavon abhalten ließ, mit einer Frau ins Bett zu gehen. Noch dazu mit so einer. Opitz fiel ein, dass Mundt sich kurz vor dem Tarquinia-Urlaub von seiner letzten festen Freundin getrennt hatte. Deshalb waren sie ja überhaupt auf die Idee gekommen, ihn mitzunehmen. Vor Opitz’ Augen riss der Himmel durch, das schwarze Weltall wurde sichtbar, der leere Raum, das Nichts. Er sah das Auge in der Decke wieder vor sich, hörte diese Kinder über seinem Kopf rumtrampeln. Sie warfen die Oberkörper hin und her, schlenkerten mit den Armen und schrien:
    Michael Jackson fuhr nach Spanien
    suchte sich drei hübsche Damen
    die erste machte U-La-La
    die zweite tanzte Cha-Cha-Cha …
    Absichtslos glitt sein Blick zur Balkontür. Was er da sah, erschreckte ihn so sehr, dass die Härchen an seinen Armen sich aufstellten. Am Geländer hing Jim, Arme und Beine auf eine Weise benutzend, dass es schwerfiel zu sagen, welche Gliedmaßen welche waren. Alle vier Hände – bei Jim konnte man wohl auch die Füße so bezeichnen – setzte der Affe ein, um sich an der oberen Querstange des Geländers festzuhalten. Den Leib hatte er von außen gegen die Längsstreben gepresst und sein Geschlecht schamlos ausgestellt. Es wirkte, als wüsste er selbst nicht, was er da anstellte. Er schaute zur Seite, wo etwas von drinnen nichtSichtbares seine Aufmerksamkeit erhascht haben musste.
    Die Tür ist fest zu, war Opitz’ erster Gedanke. Er hätte im Leben nicht damit gerechnet, Jim dort oben zu sehen. Es hatte immer geheißen, der Affe sei zu früh aus seiner Umgebung und von seinen Artgenossen entfernt worden, um klettern zu lernen. Versuchte er nun, es sich selbst beizubringen? Vielleicht, dachte Opitz, wusste Jim weder vor noch zurück. In dem Fall würde er trotz seiner enormen Körperkraft irgendwann vom Geländer fallen. Nie im Leben wäre er rausgegangen, um Jim zu helfen.
    Es verging eine fürchterliche Minute, in der nichts geschah. Opitz war sich schon sicher, dass Jim abstürzen würde. Endlich bewegte sich der Affe. Er wand lässig alle Schlingen aus seinen Gliedmaßen und schwang sich über das Geländer auf den Balkon. Wie häufig bewegte er sich auch hier auf den Fäusten fort. Gleich griff er nach einem Stöckchen und stocherte damit nach Essbarem. Auf seinem Rücken wirkte das lange Fell wie gekämmt. Er schien nicht wahrzunehmen, dass hinter der Glastür jemand stand und ihn beobachtete. Oder es war ihm einerlei. Auch bei Anna stocherte Jim gern mit einem Stöckchen herum, als könnte er an ihr irgendwelche leckeren Ameisen finden. Er fuhr damit in ihre Ohren und ihre Nase, bohrte sich bedächtig einen Weg zwischen den Knöpfen ihrer Oberteile hindurch.
    Wieder betrachtete Opitz die Hände des Affen. Erfand sie hässlich. Bei aller Menschenähnlichkeit, die sie dem Tier zu verleihen schienen, wirkten sie aus der Nähe doch befremdlich. Ihre Innenseite war sicher nicht schön anzufassen. Überdies waren die Nägel schmutzig. Auch Reste von Fingerfarben entdeckte er. Jim wendete sich der Balkontür zu. Er betastete die Scheibe und schaute mit seinen sanften Augen herein, sah Opitz aber nicht an. Seine Ohren waren sehr klein, wie Schleppgauben saßen sie an dem haarigen Schädeldach. Um die Nase herum war er schwarz, zu den Lippen hin nahm seine Haut jedoch eine helle Färbung an. Dicke braune Sommersprossen verteilten sich über sein Gesicht. Diese unregelmäßige Hautfärbung fand Opitz auch nicht schön. Jims Hand hinterließ auf der Scheibe einen

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