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Jim

Jim

Titel: Jim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Lang
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seiner Überraschung nahm Mundt, während er redete, die Flasche mit dem Vermouth von der nah stehenden Kommode. Seit er beim Fernsehen aufgehört und sich den Pferdehof gekauft hatte, trank er beinahe nie mehr. Mundt schloss die Hand so fest um den Flaschenhals, als wollte er ihn zusammendrücken. Gleichzeitig setzte er den linken Mittelfinger unter den Boden und stierte auf das Etikett. Opitz zuckte zusammen. Die kleine Szene berührte ihn tief in seinem Innern wie dieSpitze eines Stiletts. Unaufgefordert lief er in die Küche, um ein Glas zu holen. Gerade als er auf den Zehenspitzen stand und sich nach den Cinzano-Gläschen reckte, fiel ihm wieder ein, woher er diese Geste kannte.
    Anna und Tobias hatten sich vor einigen Jahren im Tarquinia-Urlaub kennengelernt. Frank Opitz hatte die Idee gehabt, zusammen zu verreisen. Sie wollten dem Winter entkommen. Aber Italien zeigte sich ihnen von der hässlichen Seite. Ein unfreundlicher Wind trieb immer neue Regenwolken auf die Küste zu, und das Land hüllte sich in Dunst. Tobias drängte darauf, in die Vatikanischen Museen zu fahren, Frank fand den Weg zu weit. Anna sah fern. Das tat sie sonst nie. Die niveaulosesten italienischen Sender schienen ihr gerade recht zu sein. Frank beobachtete in dieser Zeit die ersten Ausfallerscheinungen bei seiner linken Hand. Er versuchte das zu ignorieren und wollte erst recht mit seinem Freund Squash spielen gehen. Tobias lehnte ab, er fand es unfein, Anna allein zu lassen. Weder er noch Anna bemerkten etwas von der angehenden Lähmung. Später stellte sich heraus, dass sie von einem an der Wirbelsäule sitzenden Tumor herrührte.
    Tobias besorgte Regencapes. Am nächsten Morgen machten sie sich auf, um wenigstens die alten etruskischen Grabkammern Tarquinias anzuschauen. Die Räume waren klamm, niemand außer ihnen wollte sie sehen. Die Wände zeigten vielfältige Muster. Es gabauch figürliche Darstellungen. Anna und Tobias entdeckten einen Phallus, der in die Gestalt eines Vogels überging. Das steife Glied reckte sein Erdbeerköpfchen keck in die Luft. An seiner Wurzel saß ein Paar ausgebreiteter Schwingen mit dekorativen Federn. An der Stelle, die den Übergang zum restlichen Körper hätte bilden müssen, befand sich der Stoß (das sind die Schwanzfedern des Vogels, sozusagen sein Steuerruder). Unmittelbar davor baumelten zwei schwarze Beinchen hilflos in der Luft und suchten mit ihren ausgefahrenen Krallen vergeblich nach einem Halt. Anna und Tobias lachten besonders über die Hoden, die kurz vor den Beinen rund und schwer nach unten hingen. Man musste kein Ingenieur sein, um zu bemerken, dass der Penisvogel mit dieser Last an seiner Unterseite unmöglich fliegen konnte.
    Anna zeigte mit dem Finger auf das Bild und krümmte sich vor Lachen, Tobias schlug mehrfach abwinkend mit der Hand in die Luft; er kriegte sich auch nicht mehr ein. Frank dagegen rührte die Naivität der Darstellung. Der Schöpfer dieses Werks hatte seinen Fantasien einfach freien Lauf gelassen, ohne irgendeine mythische Vermittlung. Das Bild bot Stoff zum Nachdenken. Was war ein Penis allein, ohne den dazugehörigen Mann – hatte dieser Körperteil tatsächlich etwas Leichtes, die Schwerkraft Überwindendes, dass man ihm Flügel andichten konnte? Was wurde aus dem Mann, der ohne ihn zurückblieb, ein neutrales, der Erde verhaftetes Wesen? Eine Gestalt, die ohne ihrKontergewicht auf den Rücken fiel und mit den Beinen strampelte?
    Anna und Tobias lachten den ganzen Abend lang über den seltsamen Vogel. Alle zwei Minuten prusteten sie wieder los. Über Frank lachten sie gleich mit, weil er das Ganze nicht lustig fand. Damals hatte Tobias schon mal eine Vermouthflasche so brutal am Hals gepackt, als wollte er sie würgen. Sein Mittelfinger unter dem Flaschenboden war Ausdruck seiner Macht und Willkür. Hätte er ihn weggenommen, wäre die Flasche in seiner Hand ohne weiteren Halt gewesen. Vor seinem inneren Auge sah Frank sie am Galgen zappeln. Als Tobias ihn wie einen Kellner aufforderte, Eis aus dem Kühlschrank zu holen, verschwand Frank wütend aus dem eigenen Apartment. Auf der Straße hörte er, wie Anna seinen Namen rief. Er wandte sich nicht um. Eine Stunde lang fuhr er durch die Gegend und suchte so verbissen wie vergeblich nach einem offenen Lokal. Vor der Stadt erfassten die Wagenscheinwerfer hie und da eine am Straßenrand sitzende Nutte. Die Nacht verbrachte er vor dem Ferienapartment im Auto; es war kalt, er schlief lange nicht ein.
    Frank hatte

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