Jim
unbekannt gebliebenen Autor eine deutsche Gesamtausgabe machen würde! Wenn sie in den Läden der großen Buchhandelskette stand, war zu allem Überfluss ein Verkaufserfolg nicht ausgeschlossen.
Opitz’ Publikationen waren längst vergriffen und vergessen. Die Gefahr schien ihm trotzdem nicht gering. Mundt konnte es leicht rausfinden und irgendjemandem ohne schlimme Absicht davon erzählen. Schlimmstenfalls machte er daraus eine Anekdote in seiner Autobiografie. Opitz saß auf einer Zeitbombe. Wenn die Nachricht von seinem Plagiat an die Öffentlichkeit drang, würde ihn das als Feuilletonisten endgültig ins Aus befördern. Er kannte die Geier, die nur auf solche Gelegenheiten warteten. Die dumme Jugendsünde konnte ihn den Rest seiner Karriere kosten. Anna würde die Sache auch nicht gefallen. Opitz stellte sich sofort vor, dass sie ihn verließ. Nichts als die Elefantenhand würde ihm bleiben. Vielleicht wusste Mundt es längst. Vielleicht hatte er Opitz nurin das Bücherkaufhaus geschickt, um ihn zu demütigen. Seine Rückkehr war kein Zufall gewesen, die Bemerkung über Sumarow nur scheinbar beiläufig und der Spruch über die Seligkeit der Gerechten Spott.
Der Bus füllte sich nach und nach. Opitz räumte seinen Platz schließlich für zwei auf Rollatoren angewiesene alte Frauen, die sich nicht mal bedankten. Er hätte selbst einen Schwerbehindertenausweis bekommen können. Aber das hätte ihn auch offiziell zum Krüppel gemacht. Er hielt es aus, den restlichen Weg über zu stehen. Beim Aussteigen am Rand der Fußgängerzone stieß jemand mit dem Ellenbogen gegen seinen Arm. Fauchend kehrte der Schmerz zurück. Das war sein Tier im Dschungel.
Mit einer Hand so groß wie ein Weltatlas begab Opitz sich in den verhassten Laden. Er buchstabierte einer jungen Mitarbeiterin den Namen des russischen Dichters. Nur mithilfe des Computers konnte sie ihm sagen, wo die Bände zu finden waren. Bis auf einen waren sie eingeschweißt. Um sie mit einer Hand aufzureißen, musste Opitz sie einzeln zwischen den Beinen einklemmen. Die Leute schauten komisch. Niemand half ihm.
Die fraglichen Erzählungen fehlten in der Ausgabe.
Der Bus zurück war leer. Opitz hockte mit rundem Rücken da und starrte müde auf seine Hand. Er hatte sie auf seinem Oberschenkel abgelegt. Die Finger waren leicht gespreizt. Er konnte deutlich sehen, dass siesein Bein nicht verdecken konnten. Aber die Hand fühlte sich groß genug an, um gleich beide Oberschenkel abzudecken.
Der Nachmittag war eine körperliche und seelische Tortur gewesen. Opitz’ Panik hatte sich noch einmal gesteigert, als er entdeckt hatte, dass Mundt die Werke Sumarows mit herausgab. Warum hatte er nie davon gesprochen? Opitz fand keinen Reim darauf. Er glaubte gleichzeitig, dass sein Freund ihn mit dem Sumarow-Tipp verhöhnen wollte und dass er für die Ausgabe schlampig recherchiert und die Erzählungen übersehen hatte. Als die Panik sich legte, blieb ein Gefühl zurück, als wäre er mit Kunstharz ausgegossen. Nicht nur sein Leib, auch seine Emotionen waren dabei hart und dumpf geworden. Seine Existenz war in jeder Hinsicht gescheitert. Er besaß bloß noch sich selbst, was auch immer das sein mochte.
Bei Thalia hatte er ein kleines Buch über die Spiegeltherapie gefunden, auf die Mundt am Morgen zu sprechen gekommen war. Darin wurde ganz praktisch gezeigt, wie man diese Maßnahme umsetzen sollte. Vor lauter Anspannung und womöglich als kleine Kompensation für seine persönliche Niederlage hatte er das Büchlein zur Kasse geschleppt, bevor er richtig nachdenken konnte. Anschließend war er nicht ins Antiquariat, sondern in ein ruhiges Café gegangen, um sich zu besinnen.
Viele ehrgeizige Mediziner hatten sich seiner Krankheit schon angenommen. Sie stellten kühne Hypothesenauf, schlugen Nachoperationen oder brandneue Medikamente vor. Andere sagten ihm geradeheraus, er müsse sich damit arrangieren. Vielleicht verschwänden die Symptome eines Tages auf die gleiche rätselhafte Art, auf die sie gekommen waren. Absurde Behandlungsmethoden hatte Opitz immer abgelehnt und es irgendwann aufgegeben, in seiner Angelegenheit noch medizinischen Rat zu suchen. Sieben Jahre lang lebte er nun schon mit dieser Comic-Hand, mit den Schmerzen, die sich quasi aus dem Nichts ins Unerträgliche steigern konnten.
Für ihn war klar, dass sein Syndrom eine Folge der Operation sein musste. Sein Tumor hatte direkt an der Wirbelsäule gesessen. Er war erfolgreich entfernt worden, aber in dem
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