Jim
einem tiefen Karree-Ausschnitt, der ihren Brustansatz betonte. Ihr goldblondes Haar wurde am Hinterkopf von einer Klammer gehalten und floss vondort auf ihre Schultern. In den Händen hielt Anna zwei oder drei große Bögen Papier, die sie eilig ablegte, um Mundt zu umarmen. Die Begrüßung hatte etwas Routiniertes, aber auch Nahes – mit leichtem Kuss auf den Mund und anschließender fester Umarmung. Dieses Ritual hatten die beiden gleich zu Beginn ihrer Bekanntschaft entwickelt. Immerzu musste Opitz auf das alberne Pferdeschwänzchen schauen. Außerdem störte das Sitzpolster in Mundts Hose massiv sein ästhetisches Empfinden.
«Der wärmt wunderbar», sagte Anna.
Vor dem Bauch hielt eine mandelförmige Spange das Häkelteil zusammen. Eine Nadel teilte sie in zwei Hälften. Opitz fand den Anblick obszön. An dieser Stelle getragen, wurde die Spange zu einem Hinweisschild: Nicht weit von hier findest du meine schöne Muschi. Anna hatte eine schöne Muschi mit ebenso satten Lippen wie jenen, die ihren Mund begrenzten. Ein weiches und warmes Oval, nach dem Opitz sich heimlich ebenso sehnte, wie er die sexuelle Anspielung in Gestalt der Spange ablehnte. Es wäre leicht gewesen, die Nadel rauszuziehen. Aber Anna konnte sich darauf verlassen, dass niemand das tat. Sie legte ihre Hände auf die Beckenschaufeln und wiegte sich hin und her. Wer sagte eigentlich, dass sie das Bett für draußen gekauft hatte? Wenn sie es überhaupt gekauft hatte.
«Schaut mal her!»
Sie nahm eines der Papiere und hielt es in die Höhe.Ein beinah monochrom oranges, offenbar mit Fingern gemaltes Bild war darauf. Es bestand aus zwei länglichen Flecken mit je einem dicken Punkt am rechten Ende. Ein kräftiger Bogen verband die beiden, ein weiterer führte am unteren Rand des zweiten Flecks entlang. Es sah aus wie ein Paar Arme. Der obere war größer und länger als der untere und ging in eine rötlich getönte, rechteckige Fläche über. Opitz hielt den Atem an. Das war seine Hand! Genauso fühlte sie sich an – wie ein Spatenblatt. Er wusste, dass es nicht sein konnte, aber er hatte die Figuren nun mal erkannt. Nie im Leben würden sie sich in etwas Abstraktes zurückverwandeln. Zwei Menschen lagen da nebeneinander in Schlafsäcken. Der eine, das war Anna, hatte seine Arme im Schlafsack verborgen, der andere, das war er, ließ seine Hand auf dem Schlafsack des einen ruhen und stellte so eine Verbindung her. Der melonenrote Fleck über Annas Körper deutete überdies die erotische Komponente an.
Anna spürte die Faszination, die das Bild auf die beiden Männer ausübte. Mundt hatte sogar seine Lesebrille aufgesetzt, um es zu studieren. Anna zeigte ein weiteres von Jims Bildern. Es stellte einen Fisch dar, der auf einen magisch wirkenden wasserblauen Fleck zusteuerte. Der Fisch war orange, sein Ziel blau – hier hatte Jim sogar Komplementärfarben eingesetzt!
«Tolle Bilder! Die haben direkt was Metaphysisches!», rief Mundt aus.
«Spinn nicht.»
Doch Anna lachte vor Glück und Vergnügen.
«Ich wusste gar nicht, dass du malst. Und so gut.»
«Die Bilder sind nicht von mir. Jim hat sie gemacht.»
«Du solltest dir eine Galerie suchen.»
«Ich habe schon mehrere seiner Bilder verkauft.»
«Für wie viel?»
«Zwischen drei- und vierhundert Euro pro Stück.»
«Dafür kannst du mehr bekommen! Warum machst du nicht selbst eine Galerie auf? Wenn ich das ein bisschen promote, werden die Leute dir die Bilder aus der Hand reißen.» Mundt besoff sich spontan an seiner eigenen Idee. «Ich kenne zufällig einen Laden, der in der Stadt gerade leer steht. Drum herum gibt es einen Haufen edle Boutiquen. Super Lage für eine Kunstgalerie.»
«Die Frage ist bloß, ob es Kunst ist», warf Opitz ein.
Die Bilder hatten ihn beeindruckt. Gleichzeitig fand er Mundts Überschwänglichkeit und Annas leuchtende Miene überzogen. Schließlich war Jims Malerei dem Zufall zu verdanken! Und der Tatsache, dass Anna dem Affen Farben und Papier hinlegte. Von ihrer Seite war es also Manipulation, und auf Jims Seite fehlte die Absichtlichkeit.
«Na, hör mal!», rief Mundt entrüstet. «Ich habe vielleicht nicht Kunstgeschichte studiert, aber das hier sind doch tolle Arbeiten. Eine Art Retro-Tachismus und gleichzeitig kaum vom Figurativen dissoziiert.»
«Aus meiner Sicht ist Kreativität eine biologischeTatsache», sagte Anna. «Damit ist klar, dass sie nicht ausschließlich menschlich sein kann.»
Mundt warf ihr einen irritierten Blick zu.
«Zwischen
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