Jim
Kunst und Kreativität besteht immer noch ein Unterschied», beharrte Opitz.
«Ach.»
Mit der Art ihrer Betonung brachte Anna ihren Mann zum Verstummen.
Ringfinger
In seinem Innern glich das Haus einem Dschungel. Mit Ausnahme von Opitz’ Arbeitszimmer wuchs, rankte oder hing überall üppiges Grünzeug. Stapel- und haufenweise fanden sich auch nützliche und schöne Alltagsgegenstände, Zeitschriften über nützliche und schöne Alltagsgegenstände, Bücher über Kunst, Architektur, Inneneinrichtung und Gartengestaltung. Anna mochte keine Regale, sie bevorzugte die freie Anordnung der Dinge im Raum. Vieles blieb einfach an dem Ort liegen, an dem es zuletzt benutzt worden war. Dennoch machte das Ganze den Eindruck einer komplexen Ordnung. Opitz hatte sich nur schwer an diesen Stil gewöhnt. Seine eigenen viertausend Bücher standen in seinem Arbeitszimmer in Regalen, geordnet nach Literatur, Philosophie, Geschichte und so fort, und innerhalb dieser Richtungen wiederum nach dem Alphabet. Er hätte die Bände ächzen und jammern hören, wären siein zufälligen Reihenfolgen aufeinandergestapelt gewesen.
Anna ging wieder in den Garten, die beiden Männer blieben im Wohnbereich zurück. Mundt schaute noch einmal die Bilder an, die Anna dort auf dem Tisch ausgebreitet hatte.
«Wer ist eigentlich dieser Jim?»
Erst jetzt wurde Opitz klar, warum Mundt so komisch geredet hatte. Er wusste gar nichts von dem Affen!
«Der wohnt in unserem Garten.»
«Hä? Habt ihr jetzt ein Atelier im Garten?»
«Er lebt unter freiem Himmel.»
«Komm, verarsch mich nicht. Ihr habt doch keinen Künstler im Garten, der euch diese Bilder malt.»
«Du hast gesagt, dass es Kunst ist …»
«Was soll es denn sonst sein?»
«Ein spontaner Ausdruck von Kreativität. Jim ist ein Affe, Tobias. Das einzige Männchen weltweit, das Bilder malt.»
Opitz erklärte ihm, wie die Dinge lagen. Mundt lachte laut. «Genial. Genial!», warf er immer wieder ein. Nur bei der Erwähnung von Jims Gefangenschaft zog er missbilligend die Brauen zusammen. Opitz kam indessen schnell auf sein eigentliches Thema zurück.
«Du kannst nicht behaupten, ein Affe könnte genauso gut malen wie ein Tachist. Da machst du den menschlichen Künstler zu einem Popanz. Es ging denInformellen zwar darum, zu den kreativen Ursprüngen zurückzufinden, ohne sich durch den Intellekt einschränken zu lassen, trotzdem waren sie keine Affen. Wir haben irgendwo einen Ausstellungskatalog mit einem ziemlich guten Aufsatz zu diesem Thema. Warte!»
Opitz ging vor mehreren Stapeln in die Knie. Er stützte sich dabei nur mit der gesunden Hand auf.
«Da ist die Kunst längst weiter. In den Arbeiten von Trockel wird die Naturhaftigkeit des kreativen Prozesses auf subversive Weise infrage gestellt.»
«Vielleicht können wir uns darauf einigen», presste der kniende Opitz hervor, «dass Jim der beste malende Affe der Welt ist.»
Mundt lachte schallend.
«Weltmeister im Malen, wie? In welchen Kategorien denkst du, Mann?»
Opitz konnte den Katalog nicht finden und erhob sich wieder.
«Die Zeit der Gleichmacherei ist vorbei», sagte er, sobald er auf den Füßen war. «Es gibt Unterschiede in der Qualität, auch bei Kunst. Und die Öffentlichkeit erkennt das wieder an.»
«Ich gebe dir recht», erwiderte Mundt überraschend. «Wenn ich so darüber nachdenke, ja, warum sollte man nicht sagen dürfen, dass es einen besten Maler, Autor oder Komponisten gibt.»
«Oder einen besten Kulturjournalisten.»
«Für diese Bilder hier», fuhr Mundt fort, ohne sichum die Spitze zu kümmern, «spielt das aber keine Rolle. Anna könnte einen Haufen Kohle machen –»
«Das interessiert sie nicht.»
«– und damit eine Rettungsstation für die letzten Orang-Utans unterstützen. Du kannst dir nicht vorstellen, wie viele Organisationen mein Gesicht haben wollen, um ihr Anliegen zu transportieren.»
Opitz fand ihn in diesem Moment auf widerliche Art eingebildet.
«Dazu bist du dir natürlich zu schade.»
«Das ist ein Minenfeld, ich sag’s dir. Wenn du dich auf die falschen Leute einlässt, bist du als öffentliche Figur ruck, zuck erledigt. Aber mit diesen Bildern, da hätte ich selbst die Kontrolle. Wenn ich es ganz beiläufig lanciere …»
Tobias Mundt verlor sich in seinen Plänen. Opitz ließ ihn reden. Er verschwieg ihm oder dachte vielleicht selbst nicht daran, dass Jim irgendwann in seine Heimat zurückkehren und im Dschungel vermutlich alles mögliche tun würde, nur nicht malen. Zu
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