Jimmy, Jimmy
Glühbirnen und entkalkte ihren Wasserkessel.
Wenn sie, was öfter vorkam, den Süßigkeitenladen schloss und länger nicht aus dem Haus kam, machte sich Dad besonders große Sorgen. Manchmal kam dann ein Junge vom Centra-Supermarkt und hängte ihr eine Tüte Lebensmittel an die Haustürklinke, die sie im Schutz der Nacht hereinholte. Dad fand erst zu seiner Ruhe zurück, wenn sie wieder auftauchte und den Laden aufschloss.
Ab und zu wollte sie ihm für seine Bemühungen danken. Dann kam er Tränen lachend mit einer Tüte grau angelaufener Schokolade oder alter, verschrumpelter Äpfel nach Hause. Ich fand ihre Schrullen witzig, aber jetzt nicht mehr. Seit Dads Unfall hat sie nicht ein einziges Mal gefragt, wie es ihm geht.
Das Scheuern und Rascheln, wenn er sich unter der Bettdecke bewegt, hört sich in der Stille der Nacht beängstigend laut an. Aber wenigstens ist er nicht mehr so aufgeregt wie früher am Abend, als er merkte, dass Sean heute nicht bei ihm im Zimmer schlafen würde. Er wollte wissen, warum Sean ausging, wohin er wollte und wann er zurück sein würde. Mam versuchte es ihm zu erklären, aber er hörte ihr nicht zu.
Es war oben in der Küche, beim Abendbrot, wie wir es früher nannten. Oder immer noch nennen, obwohl ich der Veranstaltung insgeheim einen anderen Namen verpasst habe: »Pillenabfüllzeit.« Wir füllen ihn mit Pillen ab, als wollten wir ihn langsam vergiften.
Es war Pillenabfüllzeit, und ich hatte schon den Bademantel und die Hausschuhe an. Tom war auch dabei, er saß auf Mams Schoß. Er ist immer noch misstrauisch gegenüber Dad, aber er brüllt wenigstens nicht mehr jedes Mal los, wenn er ihn sieht. In nur ein paar Wochen hat sich mein kleiner Bruder von einem lärmenden Kraftbolzen in ein ängstliches Klammeräffchen verwandelt. Seine alte Schlafroutine gibt es nicht mehr. Er lässt Mam nicht mehr aus den Augen. Wenn sie ihn tagsüber wirklich mal zum Einschlafen bringt, wacht er auf, sobald sie das Zimmer verlässt, und fängt an zu weinen. Aber eigentlich ist es kein Weinen. Er klingt mehr wie jemand, der weinen will undsich nicht richtig traut. Was dabei herauskommt, ist ein kraftloses Wimmern.
Wir sitzen also am Küchentisch, und Dad will das Glas Milch nicht, das er sonst immer trinkt. Er schaut auf die Kekse auf seinem Teller, als wollte er sie unbedingt essen und müsste all seine Kraft zusammennehmen, es nicht zu tun. Dann sagt er:
»Lässt er mich im Stich wie ihr anderen alle?«
»Natürlich nicht«, sagt Mam. Tom hat die Arme um ihren Nacken geschlungen, wie immer, wenn Dad in der Nähe ist. »Niemand von uns lässt dich im Stich.«
»Schläfst du dann heute bei mir, Judy?«, fragt Dad.
Ich versuche mir einzureden, die Situation jetzt wäre vollkommen normal. Ein Mädchen hört seinen Eltern zu, na und? Ich lege ein gefrorenes Hochzeitstagslächeln auf.
»Eala ist heute dran«, erklärt ihm Mam.
Er antwortet nicht und sieht mich nicht an. Toms Stirn bumst gegen Mams Wangenknochen. Am kurzen Blitzen in ihren Augen kann ich erkennen, dass es wehgetan hat.
»Du wirst bald wieder allein schlafen wie im Krankenhaus und in der Reha«, sagt Mam. Ihr scharfer Ton und die beinahe gleichgültige Art, wie sie die Haare zurückwirft, gefallen mir überhaupt nicht.
»Warum muss ich alleine schlafen?«
»Weil … weil der Arzt es sagt.«
»Abgefeckter Arsch«, murmelt Dad wie Father Jack aus der berühmten Father-Ted -Serie, und wir können nicht anders, wir müssen lachen.
»Ihr sollt nicht über mich lachen!«
»Aber du hast das Wort aus Father Ted benutzt, über das wir immer so gelacht haben, weißt du nicht …«
Ich redete nicht weiter, aber er war kein bisschen verwirrt über meinen Versuch, ihn an was von früher zu erinnern. Er lachte.
» Father Ted «, sagte er. »Gucken wir Father Ted ?«
»Morgen, Jimmy«, sagte Mam. »Es ist schon spät.«
Sie hatte natürlich recht. Wir müssen vorsichtig sein, dass ihn vorm Schlafengehen nichts zu sehr aufregt.
Dad schmollte trotzdem. Wir brauchten fast eine Stunde, bis er alle seine Tabletten genommen hatte.
»Eala?«
Er ist wieder wach. Das wird eine lange Nacht.
»Ja?«
»Warum hat mich der Junge umgefahren? Denkst du, der Mann hat’s ihm befohlen?«
»Der Junge wollte dich nicht umfahren. Es war ein Unfall.«
Ich hasse es, wenn er solche verrückten Sachen sagt, und mir graut vor der Besessenheit, mit der er immer von dem Mann spricht. Meine Zunge ist so trocken, dass sie am Gaumen festklebt. Ich
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