Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Jimmy, Jimmy

Jimmy, Jimmy

Titel: Jimmy, Jimmy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark O'Sullivan
Vom Netzwerk:
sich uns ein paar Mädchen in unserer grünen Schuluniform. Sie sind jünger, jedenfalls kenne ich sie nicht. Dann merke ich, dass ich mich von Dad losgemacht habe, und fühle mich beschissen dabei. Er geht ein paar Schritte vor mir, als mich die Mädchen überholen. Sie glotzen ihn an, als wäre er der unglaubliche Hulk. Es ärgert mich, aber Dad zuliebe sage ich nichts. Ich merke mir nur ihre Gesichter.
    Auf der anderen Seite der Brücke, bei der alten Burg, biegt er stürmisch um die Ecke und stößt frontal mit einer jungen Frau zusammen. Sie trägt einen Hosenanzug mit Nadelstreifen und eine kostbare Ledermappe. Ihr ist nichts passiert, aber ihr schönes Gesicht hat sich zu einer halb beleidigten, halb verächtlichen Grimasse verzogen, als hätte ihr Dad absichtlich ihr Territorium streitig gemacht.
    »Es war ein Unfall«, sage ich.
    »Genau«, sagt Dad und zeigt auf seine Narbe. »Er hat meinen Kopf kaputt gemacht. Kaputt, ja.«
    Es wäre besser, wenn wir weitergingen, aber er ist viel zu fasziniert von den wasserblauen Augen der Frau, in die erstarrt, bis sie es mit der Angst bekommt und davonhastet. Dad starrt ihr hinterher.
    »Klasse Arsch, was?«, sagt er, und ich bin geschockt.
    Dann geht er weiter zum Town Square, und ich folge ihm, obwohl meine Knie so weich sind wie Gelee. Der Bürgersteig ist breit, aber Dad hält sich so nah wie möglich an den Schaufenstern. So nah, dass Leute, die aus den Geschäften kommen, mit ihm zusammenstoßen. Er entschuldigt sich nicht. Er sagt überhaupt nichts, bis wir beim Castle Inn ankommen. Dort bleibt er stehen. Denkt nach. Erinnert er sich an etwas?
    Das Castle Inn ist der Pub, in den er und Martin ab und zu gingen. Es ist der einzige echte, nicht nur auf alt gemachte altmodische Pub, der in der Stadt noch übrig ist. Vom Rauch gegerbte Tapeten, kleine Ecken und Winkel und Holz, das dunkler ist als sein Schatten. Dad sprach oft über den alten Wirt, einen Mann aus Cork, der davon träumte, eines Tages nach Clonakilty zurückzugehen, wo er hingehörte, wie er immer sagte.
    »Dein Zuhause ist da, wo du deinen Hut hinhängst«, hatte Dad mal gekontert. Der Spruch stammt sogar aus einem alten Lied, aber der kauzige Wirt verstand keinen Spaß und sagte nur: »Ich trag keine Hüte.«
    Als Dad uns die Geschichte erzählte, fanden wir sie echt komisch. Wie er jetzt dasteht und gar nicht merkt, dass die Leute uns merkwürdig ansehen, ist kein bisschen komisch. Die Anstrengung, mit der er sich den Kopf zermartert, steht ihm deutlich ins Gesicht geschrieben. Wie deutlich mir die Anstrengung ins Gesicht geschrieben steht, Angie zum Schweigen zu bringen, weiß der Himmel. Na, wie ist es, einen geilen alten Sack zum Vater zu haben? ,redet sie seit der Begegnung mit der jungen Frau auf mich ein.
    »Jimmy? Wir sollten nach Hause.«
    »Gehen wir auf ein Bier rein?«, fragt er.
    »Ich hab kein Geld dabei. Ein andermal vielleicht.«
    »Alles paletti«, sagt er. Wieder der alte Spruch. Er fasst in die Tasche seiner Jeans und zieht einen Zehn-Euro-Schein heraus.
    »Wo hast du den her?«
    Sein Blick wird unstet. Ich weiß, dass er mich gleich belügen wird.
    »Gefunden.«
    »Jimmy?«
    »Ich hab ihn gefunden, okay? Im Bernabéu. Gestern. Oder nein, am Sonntag.«
    Dann zuckt er zusammen. Ein Mann kommt schwankend auf uns zu und breitet die Arme aus, als wäre er Dads bester Kumpel. Er trägt eine wattierte Bomberjacke, die an ein paar Stellen aufgerissen ist. Er hat noch drei oder vier Zähne, alle abgebrochen und braun von Nikotin. Dad hatte immer ein Herz für solche Typen. »Es bringt Glück«, sagte er immer, wenn Mam oder ich mit ihm schimpften, weil er ihnen Geld zusteckte, das sie doch nur für noch mehr Alkohol ausgaben. Ich kann die Bierfahne des Mannes auf fünf Schritte Entfernung riechen.
    »Mensch, wie geht’s, Jimmy?«, sagt er. Auf seinem Nasenrücken löst sich ein Fetzen Schorf von einer alten Wunde. Aus der Wunde quillt gelber Eiter. »Hab gehört, du hast ordentlich eine aufs Haupt gekriegt.«
    Ich versuche, Dad wegzuschieben, aber er steht wie festgewachsen.
    »Kennst du mich noch, Jimmy? Dick Russel, weißt du noch? Linksaußen, als wir noch zusammen Fußball gespielt haben. Weißt du noch das Tor gegen Saint Michael im Pokalendspiel?«
    »Nein«, sagt Dad, und seine Stimme zittert.
    So betrunken er ist, merkt dieser Dick doch, dass er einen Fehler gemacht hat. Er stochert im Nebel seines kaputten Hirns nach einem Weg aus der Falle.
    »Aber du siehst gut aus, trotz

Weitere Kostenlose Bücher