Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Jimmy, Jimmy

Jimmy, Jimmy

Titel: Jimmy, Jimmy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark O'Sullivan
Vom Netzwerk:
Vorhänge waren eine Handbreit offen. Ich sah Mam und Dad auf dem Bett liegen. Sein Kopf lag in ihrem Schoß, und sie strich sanft über die Narbe an seiner Schläfe. Seine Lippen bewegten sich. Worüber Mam mit Martinauch gesprochen hat, so schlimm kann es ja wohl nicht gewesen sein , dachte ich. Ich hätte ihnen gern weiter zugeschaut, aber über mir klopfte Tom gegen die Fensterscheibe, und ich ging zu ihm zurück. Es war, als beträte ich plötzlich ein anderes Haus.
    Es läutet, die Schule ist aus. Ich packe meine Sachen und halte den Kopf gesenkt, bis ich sicher bin, dass Jill das Klassenzimmer verlassen hat. Ich verfluche sie im Stillen, dass sie mich so aus der Fassung gebracht hat. Ich spüre immer noch einen schalen Geschmack im Mund. Zum ersten Mal habe ich wieder Angst, ich könnte, wenn ich nach Hause komme, Murphys Gesetz bestätigt finden. » La loi de Murphy «, wie Dad zu sagen pflegte. Es brachte Dads Einstellung zum Leben auf den Punkt. Was schiefgehen kann, geht schief – warum dann nicht mit einem Lächeln und einem Achselzucken weitermachen?
    Ich nehme den Hintereingang, weil es außer Jill noch jemanden gibt, dem ich aus dem Weg gehen möchte: Miss O’Neill, unserer Musiklehrerin. Sie möchte, dass ich fürs nächste Musical vorsinge. Die »West Side Story« . Normalerweise finden die Aufführungen im November statt, aber nächstes Jahr an Ostern feiert die Schule hundertsten Geburtstag, und das Musical soll Teil der Jubiläumsfeierlichkeiten werden.
    Miss O’Neill ist eine kleine schwere Frau. Von einer Hüftarthrose hat sie einen seltsam rollenden Gang. Sie trägt lange schwarze, formlose Kleider, die sie jeden Tag mit einem anderen vielfarbigen Tuch aufpeppt.
    »Keine rote Perücke diesmal«, sagte sie neulich zu mir. »Und keine putzigen Waisenkinder, Eala. Glaub mir, Bernsteinwar ein richtiger Komponist, und sein Musical ist großartig.«
    »Ich werde dieses Jahr keine Zeit haben«, sagte ich.
    »Es wird keine Überschneidungen mit dem Basketballtraining mehr geben, falls es das ist, was du meinst.«
    »Ich werde auch keine Zeit für Basketball haben. Jedenfalls für eine Weile.«
    »Dann solltest du dir Zeit nehmen «, sagte sie in ihrer üblichen kurz angebundenen Art. »Wir brauchen alle Zeit für uns selbst, sonst vergessen wir, wer wir sind.«
    Ich sagte ihr, ich würde darüber nachdenken, ob ich mitmache. Tatsächlich mag ich Miss O’Neills direkte Art. Sie pfeift auf politische Korrektheit und höfliches Getue und wird gerade deshalb respektiert. Selbst von den toughen Jungs aus der Schule hat sich noch keiner mit ihr angelegt. Nicht mal Brian.
    Auf dem Heimweg kommt es mir so vor, als wehrten sich die Bäume länger als sonst dagegen, dass ihre Blätter fallen.

10
    »Nicht wieder zu dem abgefeckten Fluss«, beschwert sich Dad.
    Wir stehen an der kleinen Barriere zum River Walk, und er will sich nicht vom Fleck bewegen. Es ist ein wunderschöner Spätnachmittag. Ein rosenroter Himmel leuchtet über den Wipfeln der Bäume, trockene Blätter rascheln, wenn Vögel zwischen ihnen herumflattern, Wasser plätschert über die Steine im Flussbett. Der alte Dad hätte gesagt: »Siehst du das? Und hörst du?« Und mein früheres Ich hätte wahrscheinlich geantwortet: »Na und?«
    »Es ist alles so schön ruhig«, sage ich zu ihm.
    »Genau«, antwortet er. »Viel zu ruhig.«
    Ich hake mich bei ihm unter. Sein Arm ist so starr, als wäre er aus Metall. Manchmal vergesse ich, wie stark er ist.
    »Jetzt komm schon, Jimmy!«
    »Warum gehen wir nicht in die Stadt?« Er zeigt auf die Blackcastle Bridge, und bevor ich reagieren kann, packt er meinen Arm und zieht mich hinter sich her. Gleich hinter der steinernen Bogenbrücke liegt der Town Square, und um die Zeit ist dort die Hölle los.
    »Judy wird das nicht gefallen«, sage ich.
    Während wir über die Brücke gehen, wird er ein bisschen langsamer. Die Autos fahren dicht an dicht, und derFußweg ist auch voll. Er sieht ein bisschen ängstlich aus. Das komische Nachziehen des Fußes alle paar Schritte ist stärker als sonst. Ich denke: Was, wenn wir Clem Healy oder seinem Bruder Sham oder ihrem Vater, dem Drogendealer, begegnen? Ich habe sie seit dem Unfall schon ein paar Mal in der Stadt gesehen, allerdings immer nur aus der Entfernung. Sie verschwinden, wenn sie mich bemerken. Danach war mir jedes Mal einige Stunden lang schlecht.
    »Lass uns zurückgehen!«, sage ich. »Sean und Brian warten bestimmt schon auf uns.«
    Von hinten nähern

Weitere Kostenlose Bücher