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Jimmy, Jimmy

Jimmy, Jimmy

Titel: Jimmy, Jimmy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark O'Sullivan
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aber während Dr. Reid sprach, kam ich nicht drauf. Er ist mir übrigens immer noch nicht eingefallen. Zu Anfang waren die Ausführungen des Psychiaters voller unverständlicher medizinischer Fachausdrücke, aber die Staatsanwältin, eine dunkelhaarige junge Frau, drang schnell zum Kern der Sache vor.
    »Was sind Ihrer Meinung nach die langfristigen Perspektiven für das Opfer, Dr. Reid?«, fragte sie, während sie effektvoll die Brille absetzte.
    »Hier kann ich zusammenfassend sagen«, sagte Dr. Reid,»dass trotz einiger Fortschritte in jüngerer Zeit eine vollständige Wiedererlangung der vorherigen geistigen Fähigkeiten keine realistische Prognose ist. Auch die gegenwärtigen Verhaltensstörungen, Ängste und depressiven Verstimmungen werden mit großer Wahrscheinlichkeit anhalten.«
    »Kurz gesagt«, sagte die Staatsanwältin, »Mr Summerton ist zu lebenslänglich verurteilt.«
    »Mr Summerton ebenso wie seine Familie, ja, leider.«
    Natürlich wusste ich das schon. Aber das spielte jetzt keine Rolle. Ich saß wie versteinert und hatte das Gefühl, ins Bodenlose zu versinken. Dad hätte die Worte des Psychiaters nicht verstanden, trotzdem war ich froh, dass er sie nicht hören musste. Und das, obwohl ich wusste, dass er zu Hause mit der Ice Queen allein war. Neben mir schluchzte Sean, und Martin legte ihm von hinten die Hand auf die Schulter.
    Als ich sieben oder acht war, verbrachten wir mal die Sommerferien in Salthill. Ich wollte mit dem Riesenrad gegenüber der langen Uferpromenade fahren und von hoch oben auf die silberne Bucht von Galway schauen. Obwohl sie unter Höhenangst leidet, setzte sich Mam in den Sitz neben mich, und auf dem ganzen Weg hoch und wieder runter lehnte sie sich so weit wie möglich zurück und hielt meine Hand, als könnte ich sie halten, wenn irgendwas Schreckliches passierte. Daran musste ich denken, während Dr. Reid sprach und sie sich an mich klammerte und meine Hand drückte.
    Nach dem Psychiater wäre ich an der Reihe gewesen. Aber dann kam es anders.
    Seit zehn Minuten sind jetzt schon die Mikrofone ausgeschaltet, weil es vorne am Richtertisch eine Diskussionzwischen dem Richter, der Staatsanwältin, Clems Verteidiger, Starsky und einer großen rothaarigen Frau gibt. Sie reden so leise, dass wir nichts mitbekommen.
    Clem Healy schaukelt nervtötend mit dem Oberkörper. Sein Vater scheint gleich zu platzen vor Ungeduld, und wir hören Sham »Jetzt kommt mal zu Potte!« murmeln.
    Der Richter, ein älterer Mann mit einer Lesebrille, die ihm weit vorne auf der Nasenspitze sitzt, schaltet sein Mikrofon ein.
    »Keine Unterbrechungen, bitte!«, sagt er. »Ist das klar?«
    Trigger dreht sich zu den Leuten hinter ihm um, als wollte er den Tadel weiterreichen. Der Richter schaltet das Mikrofon wieder aus. Wie das hier abläuft, gefällt mir nicht. Mam auch nicht. Sie schüttelt den Kopf, als wäre ihr eine Frage in den Sinn gekommen, auf die sie lieber keine Antwort haben wollte. Dann ist die Diskussion am Richtertisch beendet. Clem Healys Verteidiger führt die rothaarige Frau zum Zeugenstand.
    Aus der Entfernung sieht sie aus wie eines dieser Kleidergröße-Null-Models, und ihr eleganter Gang wirkt in dem schäbigen Gerichtssaal vollkommen deplatziert. Ich kann mir nicht vorstellen, wer sie sein soll. Eine weitere Augenzeugin des Unfalls – mit einer anderen Geschichte als der, die wir schon gehört haben? Starsky sitzt wieder auf seinem Platz in der Nähe der Staatsanwältin. Er hält den Kopf gesenkt.
    »Miss Delahunty«, beginnt der Verteidiger, »können Sie uns eine Zusammenfassung ihres psychologischen Gutachtens über den Angeklagten geben?«
    Himmel , denke ich, noch eine verdammte Psychotante! Ich weiß nur zu gut, was sie vorhat. Sie will dem kleinen Clemden Arsch retten. Ich drehe mich um und werfe Fiona Sheedy einen angeekelten Blick zu. Schwer zu sagen, ob es ein Lächeln oder ein nervöses Zucken ist, das ich zurückbekomme.
    »Nun, also, meine Untersuchungen haben ergeben«, sagt die Catwalk-Psychologin, »dass Clement erstens, ohne jeden Zweifel an einer Form des Aufmerksamkeitsdefizit-Syndroms leidet. Er leidet darüber hinaus an einer Reihe ernsthafter Lernstörungen, die mit diesem Syndrom und einigen anderen psychischen Problemen zusammenhängen. Alles zusammen weist auf ein erhebliches Defizit in der Persönlichkeitsentwicklung hin. Er zeigt eine ausgeprägte Lernschwäche, entsprechend schwache Leistungen in einschlägigen Tests sowie Defizite im

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