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Jimmy, Jimmy

Jimmy, Jimmy

Titel: Jimmy, Jimmy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark O'Sullivan
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belogen hat.
    Es ging um noch so eine lustige Begebenheit. An dem Tag, als er sie mir erzählte, war er in Cork gewesen, um ein paar Leute zu treffen, mit denen er an einem kleinen Zeichentrickfilm arbeitete. Er war um sechs Uhr morgens losgefahren und kam erst gegen Mitternacht zurück. Ich hattemir den ganzen Tag Sorgen gemacht. Damals hatte ich diese fixe Idee über Parkhäuser. Wenn wir irgendwo waren und in so einem Parkhaus parkten, kriegte ich Panik, dass wir nicht rechtzeitig herauskamen, bevor das Parkhaus zumachte. Ich hatte Angst, dass wir über Nacht eingeschlossen wurden. Dad besaß damals noch kein Handy, und ich hatte mir den ganzen Tag vorgestellt, wie er weit weg von zu Hause in einem dunklen, verschlossenen Parkhaus saß. Als er dann in mein Zimmer kam, musste ich weinen, und er versuchte, mich mit einer seiner lustigen Geschichten aufzuheitern.
    Es ging um den verschrobenen alten Mann in der Straße, in der er und seine Kumpel nachmittags immer Fußball spielten. Die meisten Leute dort machten kein großes Theater, wenn der Ball mal in ihren kleinen Vorgarten fiel. Aber der alte Mann, Bert, war anders. Er beschlagnahmte jeden Ball, der über seine Mauer flog. Und dieser Bert war nicht nur ein bisschen verschroben. Er weidete sich regelrecht am Unglück der Jungs, wenn sie wieder mal einen Ball verloren geben mussten. Die beschlagnahmten Bälle legte er ins Küchenfenster, das zur Straße hinausging. Am Ende lagen da gut sichtbar ungefähr zehn davon.
    Ich hörte zu, wie Dad die Geschichte erzählte, und mein Magen wurde zu einem kleinen festen Knoten. Ich wusste, was als Nächstes passieren würde: Eines Tages sahen Dad und seine Kumpel, wie Bert einkaufen ging und den Haustürschlüssel stecken ließ. Dad war der Jüngste, also sollte er ins Haus gehen und die Fußbälle zurückholen. Freiwillig natürlich. Also ging er rein. Und Bert kam überraschend zurück. Dad kauerte vier Stunden unter dem Küchentisch, bis er sich wieder rausschleichen konnte.
    Die Geschichte stimmte – außer dass sie nicht Dad passiert war. Er hatte sie mir ein Jahr zuvor aus einem Buch vorgelesen. Es war keins seiner eigenen Bücher gewesen. Und jetzt erzählte er alles, als hätte er es selbst erlebt. Noch bevor er damit fertig war, platzte ich damit heraus.
    »Aber Dad, das ist eine Geschichte aus einem Buch, das du mir vorgelesen hast, ›Der Fußballdieb‹.«
    Er rieb sich die Müdigkeit aus den Augen.
    »Äh, ja, weißt du«, sagte er, »der Mann, der das Buch geschrieben hat, hat zufällig denselben Agenten wie ich, und wir haben uns ein paarmal in London getroffen. Wir sind im selben Alter, haben als Kinder dieselben Comics gelesen, dieselben Filme gesehen und all das, und eines Abends saßen wir zusammen beim Bier und haben uns alte Geschichten erzählt. Und nun ja, die von Bert hat ihm besonders gut gefallen, und er hat mich gefragt, ob er sie in einem Buch verwenden darf.«
    »Aber das Buch hättest du lieber selber schreiben sollen«, sagte ich. »Hat er dir wenigstens was dafür bezahlt?«
    Er lachte und zog mir die Decke unters Kinn, dann gab er mir einen Kuss auf die Stirn.
    »Vielleicht hätte ich was verlangen sollen, ja«, sagte er. »Aber weißt du, ich hab darüber noch nie mit jemand gesprochen. Vielleicht ist es besser, wenn es ein Geheimnis bleibt. Unser Geheimnis, okay?«
    Was ungefähr so war, als hätte er mich gefragt, ob ich eine ganze Tafel Schokolade für mich allein haben wollte. Es waren solche Dinge, die mich glauben ließen, ich sei sein Liebling.
    Warum ist mir die Geschichte eigentlich erst jetzt eingefallen? Hab ich sie bisher vor mir selbst versteckt? Wennja, stecken tief in meinem Gehirn vielleicht noch mehr davon? Und ich stelle mir noch ganz andere Fragen: Waren diese »lustigen Begebenheiten« womöglich alle erfunden? War alles, was er uns jemals von sich erzählt hat, eine einzige große Lüge?
    »Hast du schon irgendwas über Dad rausgefunden?«, frage ich Martin.
    Ich weiß nicht, ob es die Frage selbst ist oder die Plötzlichkeit, mit der ich sie stelle, was ihn mehr beunruhigt. Der stockende Verkehr scheint mit einem Mal seine ganze Aufmerksamkeit zu erfordern. Oder er tut so, als ob. Er schaut aus dem Seitenfenster und trommelt aufs Lenkrad. Ich soll sein Gesicht nicht sehen.
    »Also hast du?«
    »Ich hab darüber noch nicht mit Judy gesprochen, Eala.«
    »Bitte, Martin, sag!«
    Ich spiele meine Rolle aus »Annie«, das Waisenmädchen, das seinen reichen Wohltäter um den

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