Jimmy, Jimmy
jungen Pickelgesichter flippen aus.
»Eala?«, ruft Brian. »Eala!«
Ich gehe einfach weiter und hoffe, dass er mir folgt.
Er tut es nicht.
20
Der Wahnsinn nimmt kein Ende. Und das Schreckliche an diesem Wahnsinn ist, dass er komisch und traurig zugleich ist. Also starre ich durchs Fenster in Dads hell erleuchtetes Zimmer, und während ein Teil von mir weint, würde der Rest am liebsten lachen wie die Jungs bei unseren Proben oder die Typen gerade eben draußen auf der Straße.
Für Tom ist Dads Bett ein Trampolin. Er hüpft auf und ab und lacht, während Dad in einem seiner blauen Zidane-Trikots mit der Ice Queen tanzt. Dad kann nicht tanzen. Er hat es nie gekonnt, und er wollte es auch nie. Aber jetzt gerade scheint es ihm einen Riesenspaß zu machen. Er strahlt übers ganze Gesicht, während er auf die Füße der Ice Queen schaut und versucht, die richtigen Schritte zu setzen.
Die Ice Queen nimmt die Sache offenbar ernster. Sie wirkt streng und entschlossen, und obwohl sie kleiner und schlanker ist als Dad, führt sie ihn so leicht, als hätte er überhaupt kein Gewicht. Es ist wie in einer dieser albernen Tanz-Shows mit berühmten Leuten im Fernsehen, und weil ich die Musik dazu kaum hören kann, wirkt das Ganze noch grotesker.
Mams Auto ist nicht da. Ich schaue auf mein Handy, weil ich wissen will, wie spät es ist, und ignoriere drei neue SMS.Fast halb sieben. Es ist das erste Mal, seit sie wieder arbeiten geht, dass Mam so spät nach Hause kommt. Aber auch ich bin schon lange nicht mehr so spät zu Hause gewesen.
Dads eine Hand liegt auf der Taille der Ice Queen, die andere, in der die seiner Tanzpartnerin liegt, hat er weit von sich gestreckt. Wenn sie sich drehen, legt er den Kopf zurück und schließt die Augen. Sie drehen sich immer schneller, und ich weiß, dass es zu schnell für ihn ist. Dann lässt er die Ice Queen auch schon los, und sie segelt in Richtung Bett. Tom weicht gerade noch rechtzeitig aus, und sie landet neben ihm. Dad hält immer noch den einen Arm ausgestreckt und schüttelt sich vor Lachen. Gleich darauf höre ich die Ice Queen. Sie schreit.
»Dummer Mann! Dummer, dummer Mann! Hast du mir wehgetan!«
Ich klopfe ans Fenster, und Tom winkt mir zu. Er lacht und prustet dabei so heftig, dass zwei große gelbe Streifen Rotz unter seiner Nase auftauchen. Dad lacht nicht mehr. Er hat den Kopf gesenkt und fingert an seiner Armbanduhr. Die Ice Queen schaut zum Fenster, und ich meine zu erkennen, dass sie erleichtert ist, mich zu sehen und nicht Mam. Aber dann sieht sie einfach durch mich hindurch, als wäre ich Luft, und das kann ja wohl nicht sein, also renne ich wie ein rasender Argos zur Tür.
Der Weg ist blöderweise glatt vom Abendtau, und ich rutsche aus und lande auf dem Hintern. Mein Rock ist nass, und es tut weh, und ich frage mich, warum das Leben nicht aufhören kann, mir diese verdammten albernen Streiche zu spielen. Dann erreiche ich endlich die Tür zu seinem Zimmer, und sie ist offen, und ich stürme hinein. Dad stehtimmer noch mitten im Zimmer, aber inzwischen hält ihn die Ice Queen fest. Sein Kopf liegt auf ihrer Schulter, und sie streicht ihm über die Narbe an seiner Schläfe.
»Jimmy, Jimmy«, sagt sie. »Marta hat ein Fehler gemacht, nicht Jimmy.«
Ich bekomme kein Wort heraus und kann die Beine nicht bewegen. Ich spüre nur, wie Tom sich an mich klammert. Er versteckt den Kopf in den Falten meines Rocks und weint, was mich wieder in Fahrt bringt.
»Fassen Sie ihn nicht an!«, sage ich. »Sie haben kein Recht, ihn anzufassen.«
Sie löst sich von Dad und tritt einen Schritt zurück. Sie hat Angst, aber nicht vor mir. Es ist eher die Angst, ihren Job zu verlieren. Und was wetten wir, dass du deinen Job los bist, du Heuchlerin! Dad weiß nicht, was er tun oder wohin er schauen soll, was ihn noch dämlicher aussehen lässt als beim Tanzen. Wahrscheinlich raste ich deswegen endgültig aus.
»Ich hab gehört, was Sie zu ihm gesagt haben. Was fällt Ihnen ein? Wenn Mam davon erfährt, stehen Sie da, wo Sie hingehören – auf der Straße!«
»Ich hab gesagt, dass es mir leidtut«, sagt Dad zu mir. »Und Marta hat auch gesagt, dass es ihr leidtut. Alles okay, keine Problem.«
Sollte das jetzt ein Witz sein? Ich glaube nicht. »Es heißt kein Problem«, sage ich.
Tom schluchzt und klammert sich noch fester an mich. Ich möchte ihn am liebsten wegstoßen und erschrecke vor mir selber.
»Wegen Ihnen verlernt er auch noch Englisch!«, schreie ich Marta
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