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Jimmy, Jimmy

Jimmy, Jimmy

Titel: Jimmy, Jimmy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark O'Sullivan
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jetzt noch tun oder sagen soll.
    »Eala packt die Keule aus«, sagt Derek. Dann grinst er mich unverschämt an. »Man sieht sich immer zweimal.«
    »Vielen Dank, die Herrschaften, für dieses kleine Lehrstück in Sachen Homophobie«, sagt Miss O’Neill.
    Sie ist angewidert von dem, was ich gerade abgezogen habe, aber nicht halb so sehr wie ich selbst. Ich wünsche mir plötzlich, ich könnte ihr erzählen, was ich von Dads Vergangenheit erfahren habe, ihr sagen, wie ich an dem kühlen Abend im Bernabéu gezittert habe und seitdem innerlich weiterzittere. Aber ich kann es nicht.
    »Okay, lassen wir’s für heute gut sein«, sagt sie. »Morgen Abend probieren wir’s noch mal. Vielleicht könnt ihr dann zur Abwechslung so tun, als wärt ihr Erwachsene.«
    »Und Sie, Miss O’Neill, machen Sie auch mit? Wenn ja, als wer?«, fragt Derek.
    »Ich lasse mir über Nacht das Gehirn amputieren«, sagt sie, während sie vom Klavierstuhl aufsteht, auf dem sie inzwischen sitzt, »und dann tue ich so, als wäre ich Derek Rice.«
    Das findet er nicht witzig, aber er ist klug genug, nicht wütend zu werden. Die Hauptrolle ist ihm wichtiger als sein Stolz. Wir gehen auseinander. Jill folgt mir, und an der Tür holt sie mich ein. Wir haben seit Wochen nicht mehr miteinander geredet. Sie scheint sich auch jetzt nicht sicher zu sein, ob sie mit mir reden will, und ich mache ihr die Entscheidung nicht leichter. Ich sage nichts. Ich gehe einfach weiter. Sie wird die Graziella spielen, die Anführerin der Jet-Mädchen. Es ist eine Rolle, die Angie meiner vorziehen würde. Weil Graziella das stärkere Mädchen ist. Als Maria muss ich nur blödsinnig eifersüchtig sein.
    Draußen auf dem Flur gehen Derek und seine Kumpel voraus, und er hat schon wieder Oberwasser.
    »Die O’Neill ist eine alte Lesbe, ich wette, ihr ganzes Leben ist ein Rollenspiel«, sagt er.
    Die Lacher seiner hormongesteuerten Kumpel hallen von den Wänden wider. Einer von ihnen haut einem anderen freundlich auf den Kopf, und die ganze bescheuerte Bande rennt aus der großen Eingangstür ins Freie wie Hunde, die nach einem Knochen jagen.
    »Was für ein Haufen Loser!«, sagt Jill.
    Wenigstens kommt sie mir nicht mit dem letzten Kapitel ihrer Win-und-ihr-kleiner-Schreihals-Geschichte. Ich mustere sie verstohlen von der Seite und merke, dass sie heute nicht die Drama Queen gibt. Sie strahlt eher Zufriedenheit aus. – So viel dazu, wie sehr sie den kleinen Waisen Richard vermisst. Ich hätte große Lust, ihre Seifenblase aus Zufriedenheit platzen zu lassen.
    »Vielleicht sind wir alle Loser«, sage ich.
    Sie lächelt. »Weißt du, was Win am meisten vermisst, seit sie nicht mehr an der Schule ist?«, fragt sie. »Erst heute Morgen hat sie’s wieder gesagt: dass sie nicht mehr beim Musical dabei sein kann. Schon witzig, oder?«
    »Ist sie wieder da?«, frage ich und weiß im selben Augenblick, dass es ein Fehler war.
    Als wir die große Eingangstür erreichen, drücke ich dagegen, aber zu meinem Ärger geht sie nicht auf. Dann übernimmt Jill, und es geht ganz einfach. Nach innen. Warum bin ich bloß so durcheinander? Und warum wird mir draußen in der Nachtluft auch noch schwindlig?
    »Du wirst es nicht glauben, Eala«, sagt Jill, »aber es ist, als wären wir plötzlich eine komplett andere Familie. Alles dreht sich nur noch um Richard. Mam und Dad sind extra nach Dublin gefahren, um Win und ihn nach Hause zu holen. Stell dir vor, wir werden uns um ihn kümmern, während sie aufs College geht!«
    Ich gebe mir keine große Mühe, begeistert zu klingen.
    »Toll.«
    »Ja«, sagt sie. »Dad strahlt nur noch, wenn er abends von der Arbeit nach Hause kommt, und wenn Richard schon schläft, muss er trotzdem hin und wenigstens nach ihm schauen.«
    Sie schnieft, und ich tue so, als würde ich es nicht bemerken. Es ist bitterkalt. Die Bäume auf beiden Seiten des Wegs zum Schultor sind kahl. Sie werden abends von unten angestrahlt und sehen in der Nacht so zerbrechlich aus, dass man sich fragt, ob sie die Kälte überleben. Mir ist kalt, wenn ich sie nur sehe.
    »Ich muss …« Ein Stück hinter dem Schultor bleibt Jill plötzlich stehen. Sie wirkt nervös. »Ich treffe Benno an der Schwimmhalle«, sagt sie und schaut an mir vorbei zum Schultor zurück.
    »Du bist mit Benno zusammen? Davon hast du mir gar nichts …«
    »Ich hab dir jede Menge SMS geschickt, aber du hast dir offensichtlich nie die Mühe gemacht, sie zu lesen.«
    Ich schaue auch über die Schulter, um zu sehen,

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