Jimmy, Jimmy
an.
»Eala.« Sie betont das a am Ende meines Namens und dehnt es, bis ich kurz davor bin, ihr ins Gesicht zu springen.
»Ich hab doch nur Spaß gemacht«, sagt Dad. »Klar kann ich Englisch.«
»Lass dich nie wieder von ihr anfassen, hörst du? Und fass sie selber auch nicht an! Sie ist eine Fremde. Es ist nicht … es ist nicht richtig, okay?
Seine Stirn scheint sich nach außen zu wölben, so sehr versucht er zu verstehen, was ich ihm sagen will. Dann drückt er auf die Knöpfe seiner Armbanduhr, und es ist so schrecklich, das Piepen zu hören und zu sehen, wie verwirrt er ist.
»Sie ist nicht gut für dich, Jimmy«, sage ich.
»Doch, sie ist gut. Sie und Alan sind meine besten Freunde. Und zu Hause in Moravia war sie Meisterin im Tanzen, stimmt’s, Marta?«
»Ich muss nach Hause gehen«, sagt die Ice Queen.
»Gute Idee – am besten gleich nach Moravia«, sage ich. »Gehn Sie und tun Sie, was immer es da noch zu tun gibt außer Tanzen. Was war’s eigentlich genau – Tabledance?«
Ich weiß nicht, warum, aber es fühlt sich gut an, sie mit Dreck zu bewerfen. Außerdem komme ich so endlich an sie ran. Das Eis in ihren blassblauen Augen beginnt schon zu schmelzen. Tom hat mich inzwischen losgelassen. Er sitzt auf dem Boden und schluchzt in seine kleinen Fäuste.
»Mam…mii«, schnieft er.
»Oh, Tomas«, sagt die Ice Queen und macht einen Schritt auf ihn zu, aber ich stelle mich ihr in den Weg.
Dafür kommt Dad und nimmt Tom auf den Arm.
»Oh, Tomas«, sagt er, genau wie sie.
»Er heißt Tom«, sage ich. »Sag Tom zu ihm!«
»Namen sind nicht so wichtig«, sagt Dad.
»Sind sie wohl. Du hast keine Ahnung, wie wichtig sie sind, Jimmy.«
Dann fällt mein Blick auf den Fernseher und das eingefrorene Bild auf dem Bildschirm. Als ich es erkenne, stehe ich wie eingefroren da. Es zeigt Annie aus dem gleichnamigen Musical mit der bescheuerten roten Lockenperücke. Sie hat den Mund weit geöffnet und die Augen nach oben gerichtet. Ich kenne die DVD, von der das Bild stammt, so gut, dass ich weiß, welches Lied Annie gerade singt, und es im Stillen weitersinge, obwohl mir bestimmt nicht danach ist.
»Sie haben kein Recht, ihm das hier zu zeigen«, sage ich zur Ice Queen.
»Aber Jimmy liebt dieses ›Tomorrow‹-Song.«
Grelles Scheinwerferlicht dringt durchs Fenster und blendet mich. Mams Auto biegt in die Einfahrt. Als die Schweinwerfer erlöschen, steht die Ice Queen nur noch eine Armlänge von mir entfernt. Es ist merkwürdig, so als hätte sie sich nicht auf dem Boden, sondern durch die Luft auf mich zubewegt.
»Ich werde jetzt gleich mit meiner Mutter über Sie reden«, sage ich. »Vielleicht packen Sie …«
»Du tust nicht gut für Jimmy, wenn du so bist«, sagt sie. Sie ist nah genug, dass ich zuschlagen könnte, und sie weiß es, aber sie bleibt stehen. »Du liebst Jimmy zu viel.«
Ich bin wirklich nahe daran zuzuschlagen.
»Wir sprechen hier Englisch!«, keife ich, und mir fällt Jills Geschichte von dem polnischen Jungen aus ihrem Bekanntenkreis ein, der in der ersten Zeit hier mit genau den Worten schikaniert wurde.
Mir ist ganz schlecht. Oben höre ich die Haustür zuschlagen und Mams Stimme.
»Hallo zusammen!«
Es klingt gut. Als wollte sie sagen: »Ich hab mein Leben zurück!« Die Glückliche , sagt Angie, und noch im selben Augenblick vollzieht sich vor mir eine unerwartete Verwandlung. Aus der Ice Queen wird Miss Understanding Nummer zwei. Ihre Augen sind voller Mitgefühl, und eine Träne kämpft sich ins Freie. Eine Träne.
»Mein Vater war in letzten Jahr tot«, sagt sie. »So ich bin auch nicht glücklich.«
Ich renne an ihr vorbei in Richtung Treppe. Bei der nächsten Gelegenheit lass ich deine heile Seifenblasenwelt platzen, Mam, das schwöre ich!
21
Ich habe den ganzen Abend in meinem Zimmer verbracht, sieht man von den fünf Minuten ab, die ich fürs Essen gebraucht habe. Ich warte darauf, dass Mam mit mir schimpfen kommt, damit ich mit ihr Streit anfangen kann. Sie musste ganz allein das Abendessen zubereiten, Tom ins Bett bringen und Dad für die Nacht vorbereiten. Ich habe behauptet, ich müsse lernen, weil ich in der Schule ziemlich im Rückstand sei. Was den Rückstand betrifft, stimmt das sogar. Trotzdem habe ich kein einziges Buch aufgeschlagen. Ich wollte Musik hören, aber sogar das war mir zu viel. Vier Stunden sind vergangen, seit sie nach Hause gekommen ist, und ich bin kurz davor zu explodieren.
Es ist nicht einfach, die Zimmertür zu öffnen, ohne dass
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