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Jimmy, Jimmy

Jimmy, Jimmy

Titel: Jimmy, Jimmy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark O'Sullivan
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es knarrt, aber es gelingt mir. Von unten kein Laut. Das Haus ist still, aber es herrscht keine Ruhe. Jedenfalls nicht in meinem Kopf. Ich bewege mich leise in Richtung Treppe. Unter Seans Tür ist kein Licht zu sehen, was wohl bedeutet, dass er hinter Clem her ist und pfeilgerade auf eine Kraftprobe mit den Healys zusteuert. Die Tür zu Mams Zimmer ist nur angelehnt, drinnen schläft, den grünen Traktor fest im Arm, Tom. Seltsam, in welchen Dingen Kinder Trost finden. Und wie schade, dass es nicht so bleibt.
    Ich finde Mam im Wohnzimmer. Es ist erstickend heiß, obwohl wir schon eine Weile kein Kaminfeuer mehr anmachen. Kamine ohne tanzende Flammen haben etwas Blutleeres, Blasses. Der Fernseher ist nicht eingeschaltet, sie hört Musik. Wie sie weit nach hinten gelehnt auf dem Sofa lagert, könnte sie für ein Fotoshooting posieren. Sie hat die Augen halb geschlossen, ihr Pony hängt wie ein Schleier davor, und das hochgerutschte Kleid gibt ihre Oberschenkel frei. Am liebsten würde ich ihr das Glas Rotwein aus der Hand reißen und sie fragen, wie sie andächtig Musik hören kann, als wäre nichts passiert.
    Es ist Chormusik von Arvo Pärt, ihrem Lieblingskomponisten. »The Woman with the Alabaster Box«. Ich kenne das Stück, weil ich es früher so oft gehört habe. Seit dem Unfall allerdings nicht mehr. Es ist ein paar Jahre her, dass sie und Dad wegen eines Arvo-Pärt-Konzerts extra nach Dublin gefahren sind, und als sie nach Hause kamen, war sie hin und weg, weil vollkommen überraschend der Komponist persönlich dort aufgetaucht war. »Sie hat sich in einen bärtigen russischen Mönch verliebt!«, hat Dad sie aufgezogen.
    »In einen estnischen«, hat sie ihn korrigiert. »Und unglücklicherweise ist er verheiratet und hat Kinder.«
    Ich war damals zehn oder elf, und ich erinnere mich, dass ich den Witz kein bisschen komisch fand. Was für ein Kind war ich damals eigentlich? Und wer bin ich heute?
    »Eala«, sagt sie, ohne die Augen zu öffnen. »Soll ich dir was sagen: Die Musik macht mir Lust, wieder in den Chor zu gehen. Vielleicht tu ich’s auch schon bald.«
    Ich antworte nicht. Sie will Kirchenlieder singen, während unser Leben in Scherben fällt.
    »Hast du viel geschafft?«, fragt sie.
    »Nein«, sage ich. »Und willst du wissen, warum nicht?«
    Sie bewegt langsam den Kopf in meine Richtung.
    »Weil ich gesehen hab, wie diese Frau mit Dad tanzt. Sie tanzen!«
    »Ich weiß, dass sie tanzen«, sagt Mam. »Marta hat mich gefragt, ob es okay ist, und ich dachte, warum nicht? Es ist gut für ihn, er soll sich ja bewegen, und das bisschen Spaß gönne ich ihm.«
    »Aber das ist doch … das geht doch nicht«, sage ich. »Sie ist doch seine Pflegerin und nicht seine Tanzlehrerin!«
    »Eala, sie hat sich mit ihm unterhalten und dabei erwähnt, dass sie zu Hause getanzt hat, richtige Turniere sogar, das war alles. Er hat gebettelt, dass sie’s ihm beibringt, und jetzt tut sie’s. Sie hat alles richtig gemacht.«
    »Aber du hast nicht gesehen, was ich gesehen habe. Dad kriegt die Schritte nicht richtig hin, und sie ist hingefallen, und hinterher hat sie ihn beschimpft! ›Dummer Mann‹, hat sie zu ihm gesagt.«
    »Wir verlieren eben alle mal die Nerven mit ihm. Und wir können ihn auch nicht in Watte packen. Im Übrigen hat sie sich dafür entschuldigt.«
    »Ich fass es nicht. Sie erzählt dir, dass sie deinen Mann zum Affen macht, und du sagst: ›Bitte sehr, nur zu!‹«
    »Setz dich doch, Eala.«
    Mam setzt sich auf, klopft mit der einen Hand neben sich aufs Sofa und streckt mir die andere entgegen. Aber ich ignoriere die Einladung.
    »Ich erzähl dir noch was, was du nicht weißt: Sean ist hinter Clem Healy her.«
    Sie lehnt sich zurück und sagt nichts. Es muss am Weinliegen , denke ich. Am Wein und an dem einlullenden A-capella-Gesang. Sie hat einen kleinen Schwips, darum ist die Welt voll Harmonie und nichts wirklich ein Problem.
    »Ich rede mit ihm«, sagt sie, und ich warte, aber es kommt nichts mehr.
    »Ist dir inzwischen alles egal? Zählt nur noch deine Arbeit? So lange, wie du immer bleibst, muss sie ja tierisch Spaß machen.«
    »Ich war heute nicht so lange in der Arbeit, wir waren noch etwas trinken.«
    »Eine fremde Frau schmeißt sich an deinen Mann ran, dein Sohn spielt mit dem Feuer, und du gehst einen trinken? Mit wem?« Noch während ich die Frage stelle, komme ich darauf: »Miss Understanding.«
    »Ja, mit Fiona.«
    Sie stellt ihr Glas auf den Sofatisch und lehnt sich wieder zurück,

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